Wiens Parade-Einkaufsstraße wird
ab 2014 verkehrsberuhigt
Neue Begegnungszonen sollen die Mariahilfer Straße aufwerten
von
Harald A. Jahn
Es ist die erste bauliche Manifestation des erstmals „grün“ besetzten
Ressorts für Stadtplanung und Verkehr – und damit das große „Leuchtturmprojekt“
des Juniorpartners in der Wiener Stadtregierung: die Umwandlung
der Wiener Mariahilfer Straße in eine verkehrsberuhigte Zone.
Titelbild:
So wie auf diesem Bild
wird sich die
Fußgängerzone
Mariahilfer Straße ab
August 2013 präsentieren
– bis sie ab 2014
definitiv ausgestaltet
wird. © Foto: Harald A.
Jahn
Mariahilfer Straße Neu
Im
Lauf der letzten 20
Jahre haben sich die
innerstädtischen
Verkehrsgewohnheiten
verändert; der Modal
Split hat sich deutlich
zum ÖV verschoben. Die
Passantenfrequenz ist
durch
Flächenerweiterungen des
Einzelhandels und das
Museumsquartier laufend
gestiegen. Der
Pkw-Bestand in den
inneren Bezirken nahm dagegen
trotz
Bevölkerungszuwachs ab,
der vor 20 Jahren
irrelevante Radverkehr
nimmt stetig zu. Nur
noch 8 % erreichen die
Mariahilfer Straße mit
dem Pkw; auf den
Gehsteigen drängen sich
die Passanten, auch
wegen der Wiener
Vorliebe zu exzessiver
Stadtmöblierung. Schon
länger liefen daher
Untersuchungen zur
Umgestaltung. Während
der SPÖ-Alleinregierung
hatte man sich an das
Projekt noch nicht
herangetraut; die als
Juniorpartner neu in die
Stadtregierung
eingetretenen Grünen
benötigten ein
„Leuchtturmprojekt“, und
so konnte der
überfällige Umbau
endlich angegangen
werden – auch wenn es
erneut ein Kompromiss
geworden ist.
Der
Entwurf sieht im
mittleren Drittel der
Straße eine
Fußgängerzone
(ausgenommen Buslinie
13A und Fahrrad) vor, in
den Endstücken Richtung
Gürtel und Getreidemarkt
werden erstmals in Wien
„Begegnungszonen“
eingerichtet. Diese
wurden erst mit der
letzten Novelle der StVO
am 31. 3. 2013
ermöglicht und stellen
sämtliche
Straßenbenutzer gleich;
die erlaubte
Höchstgeschwindigkeit
ist auf 20 km/h
festgelegt. Eine
durchgehende
Fußgängerzone ist u. a.
wegen Garageneinfahrten
nicht möglich.
Start im Sommer 2013
Die Sperre des zentralen
Teils soll im August
2013 erfolgen; der
Bevölkerung wurde ein
Plan mit begleitenden
Maßnahmen
(Einbahnführungen, neue
Sackgassen) präsentiert.
Trotzdem bleibt vieles
noch überraschend vage;
sogar die
Gesamtausdehnung der
Kernzone scheint noch
nicht ganz fix.
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Von den Wiener Linien nicht erwünscht: Busverkehr in Begegnungszonen
oder Fußgängerzonen.
© Foto: Harald
A. Jahn
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Prinzipiell werden die
allgemein befahrbaren
Teile der Mariahilfer
Straße lokale
Erschließungsfunktion
haben – der stadtnähere
Teil wird als Zufahrt
zum Siebensternviertel
erhalten bleiben, der
äußere Teil ist für die
Erreichbarkeit von
Ziegler- und Webgasse
notwendig. Durch die
Sperre der
Querungsmöglichkeiten
wird die neue
Verkehrsorganisation
aber weiter ausstrahlen:
In Anrainerbefragungen
sprach sich die Mehrheit
für die Unterbrechung
von Otto-Bauer-Gasse –
Zieglergasse und
Schottenfeldgasse –
Webgasse aus. Diese
Verbindungen waren
beliebte „Schleichwege“
parallel zum Gürtel, nun
wird der
Individualverkehr
zwischen 6. und 7.
Bezirk völlig
unterbunden.
Begleitend
sollen auf der Gumpendorfer Straße und
auf dem Einbahnzwilling
Burggasse/Neustiftgasse
30 km/h
Höchstgeschwindigkeit
verordnet werden;
bauliche Maßnahmen sind
aus finanziellen Gründen
nicht geplant, man wird
aber die
Ampelschaltungen
entsprechend anpassen.
Bei der Umsetzung des
Gesamtprojektes – so
sehr es auch ein
wichtiger Schritt in die
richtige Richtung ist –
fallen strategische
Defizite auf, die
möglicherweise auf die
politische
Unerfahrenheit des neu
besetzten
Stadtplanungsressorts
zurückzuführen sind.
Mehrfache
Konzeptänderungen sowie
die scheibchenweise
Abkehr von der
ursprünglich
angekündigten
Fußgängerzone im
Gesamtbereich erzeugen
den Eindruck von
Schwäche; die fehlende
Klarheit öffnet
Angriffspunkte, die von
bremsenden Kräften
lustvoll genutzt werden.
Die Bürgereinbindung von
Anfang an war gut, wurde
aber zu wenig genützt,
um in großem Stil
Öffentlichkeitsarbeit
für das Projekt zu
machen.
Eine eigenartige Allianz
von Gegnern
Widerstand kommt z. B.
aus parteitaktischen
Überlegungen von der
Wirtschaftskammer,
obwohl gerade der
Einzelhandel größter
Profiteur der Maßnahmen
sein wird. Bei einer
Kammer-Umfrage sprachen
sich z. B. 67 % gegen
die Fußgängerzone aus;
die bescheidene
Rücklaufquote von nur 16
% wurde meist nobel
verschwiegen.
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Nur ca. 8% erreichen die Mariahilfer Straße mit dem Pkw. Auf diesem Bild
ist die nicht adäquate Platzverteilung gut zu sehen.
© Foto: Harald
A. Jahn
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Auch die
Wiener Linien agieren
nicht unbedingt
zweckmäßig: Gerade wird
das innerstädtische
Busnetz neu
strukturiert, die
Verbindung von der City
über den Ring zur Mariahilfer Straße wird
gekappt; anstatt die
Gelegenheit zu nützen
und eine sinnvolle
Verbindung zum
Karlsplatz zu schaffen,
soll es eine kurze Linie
2B parallel zur U3 und
Straßenbahnlinie 49
geben, die eine einzige
Haltestelle auf der
unteren Mariahilfer
Straße haben wird. Da
man aus Prinzip nicht
durch eine Fußgängerzone
fahren möchte (warum
eigentlich?), fordert
man dort „aus
Sicherheitsgründen“
Verkehrsampeln…
Die
zaghaften und nur
schrittweise
durchgeführten Umbauten
der verschiedenen Zonen
könnten zu weiteren
Erosionen des Projektes
führen.
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Thomas Blimlinger, Bezirksvorsteher,
7. Bezirk, Wien – Neubau
„Die Verbindung der ersten Begegnungszone
in Wien in der Mariahilfer
Straße mit einer deutlichen
Reduktion des motorisierten Individualverkehrs
stellt eine große Herausforderung
dar. Es wird funktionieren,
da bin ich sicher, die Frage
ist nur wann.“
© Foto: Harald
A. Jahn
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Auch wenn die
prinzipielle
Verkehrslösung bereits
im August 2013
eingerichtet wird: Erste
bauliche Umgestaltungen
werden erst 2014 in der
zentralen Zone starten,
bis dahin will man
evaluieren. Die
„Begegnungszonen“ werden
überhaupt erst 2015
umgebaut – zwei Jahre
lang wird sich der
momentane
Straßenquerschnitt also
nicht ändern. Ob man die
Begehrlichkeiten
abblocken kann, wenn die
Autofahrer an leeren,
aber abgesperrten
Parkspuren entlangrollen?
Und ob sich die
Fußgänger trauen werden,
die Begegnungszonen frei
zu nutzen, wenn es
weiterhin Gehsteige
gibt?
Weit ausstrahlende
Verkehrsberuhigung
So wirkt bei diesem
wichtigsten
Verkehrsberuhigungsprojekt
der letzten Jahrzehnte
vieles merkwürdig
unausgegoren – und doch
ist es ein absolut
wichtiges Symbol. Seit
dem Umbau der Kärntner
Straße in den
1970er-Jahren gab es
kein
Verkehrsberuhigungsprojekt
vergleichbarer Größe.
Die Mariahilfer Straße
kann sich zum zentralen
Platz der Bezirke 6 und
7 wandeln, wenn die
vorgesehenen
Aufenthaltszonen
geschaffen sind. Mit der
Reduktion des Angebots
für den IV wird es zu
weiterer Verlagerung auf
den ÖV kommen; vor allem
der 13A wird zu einer
noch wichtigeren
Zubringerlinie als er es
schon heute ist. Es kann
daher durchaus sein,
dass das Umbauprojekt
zur Straßenbahnlinie 13
wieder mehr Rückenwind
bekommt. Insgesamt kann
man davon ausgehen, dass
die Verkehrsberuhigung
und die Zunahme des
Fußgängerverkehrs auf
die Seitengassen positiv
ausstrahlen werden, und
es ist wahrscheinlich
nur eine Frage der Zeit,
bis die ersten
Forderungen nach einer
Ausweitung der
Fußgängerzone auf die
gesamte Mariahilfer
Straße gestellt werden.
Zum Autor: Harald A. Jahn |

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Harald A. Jahn
ist Fotograf und Autor, beschäftigt sich mit Architektur,
Stadtplanung, Wirtschaft, Soziologie und Vernetzung.
Er betreibt die Bildagentur „Viennaslide“ mit
Schwerpunkt auf Reise- und Architekturfotografie.
Weiters ist er Betreiber der Website www.tramway.
at und Autor des kürzlich erschienenen Buches „Die
Zukunft der Städte – Die französische Straßenbahn und die Wiedergeburt
des urbanen Raumes“. |
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