Railjets im Anflug auf
2009
von
Jürgen Grosch
Während der Erprobung
des neuen Premiumzuges
der ÖBB wurden von in-
und ausländischen
Zeitschriften Vorurteile
genannt, die den
Wünschen der
fernreisenden Fahrgäste
entgegenstehen könnten.
Dieser Artikel möchte
etwas „geraderücken“, um
bei unseren Lesern das
Sachverständnis für den
Railjet zu vertiefen. Am
15. Oktober 2008 hatte
der Autor die erste
Gelegenheit, eine
längere Sonderfahrt mit
dem Railjet zu
unternehmen.
Rollout des ersten
Zuges am 15. September
2008
Fast genau drei
Monate vor dem Start des
Railjets am 14.Dezember
2008 wurde der neue Zug
in Wien-Simmering der
Öffentlichkeit
vorgestellt. Die
aktuellen Aktivitäten
der ÖBB mit dem Ausbau
der Westbahn und die
parallel dazu laufende
Beschaffung von 67 neuen
Hochgeschwindigkeitszügen
dokumentieren das schon
lange geplante Konzept
zur Verbesserung des
Reiseverkehrs auf einem
der wichtigsten
Abschnitte der
europäischen Magistrale
Paris – München – Wien –
Budapest. Ab 2012 ist
die ÖBB in der Lage, mit
den Railjet-Zügen die
Reisenden mit mehr als
200 km/h zu befördern.
Neue Produkte müssen
neue Namen haben
Bei allen neuen
Produkten ist es heute
üblich, englische Namen
oder Begriffe zu
verwenden. Egal, ob es
sich um Ausrüstungen für
den Sport handelt oder
ob man elektronische
Geräte für den
Heimgebrauch als
Beispiel anführt, die
Marketing-Verantwortlichen
der Hersteller wählen
meist Produktnamen aus,
die weltweit „griffig“
sind. Und beim Railjet
haben sie das auch
geschafft, den Namen
griffig zu gestalten,
denn Railjet ist nur
zweisilbig und damit
extrem kurz; kürzer
ausgesprochen als die
Abkürzung ICE. Beim
Railjet wird auch
innerhalb des Zuges die
Fahrgast-Information
sowohl in Deutsch wie
auch in Englisch
angeboten, was dem
Kundenkreis der
zahlreichen
ausländischen Reisenden
(mit touristischem
Hintergrund oder
Geschäftsreisende) auf
dieser Strecke
zugutekommt.
Vergleich zwischen
Flugzeug und Bahn
Mit Recht assoziiert man
mit der Silbe „Jet“ den
Bezug zum Flugzeug. Das
ist gewollt und ist
Bestandteil der
Vermarktung des neuen
Zuges. Unter diesem
Aspekt lohnt sich
natürlich für den
Reisenden folgender
Vergleich zwischen
Railjet und Flugzeug:
- das
Preis-/Leistungsverhältnis
für das Ticket
- die Auswahl
unterschiedlicher
Komfort-Stufen
- die Verfügbarkeit des
Transportmittels
- die Sicherheit und
Zuverlässigkeit der
Technik
In unserer Betrachtung
können wir mit
Sicherheit behaupten,
dass im Inland ein
Bahn-Ticket günstiger
ist als ein Flug-Ticket.
Bei dieser Überlegung
muss man unbedingt die
An- und Abreise zum und
vom Flughafen mit
berücksichtigen.
Billigflieger sind
mitunter günstiger; sie
sind aber nicht
jederzeit oder
kurzfristig zu buchen.
Und der Umwelt tut man
keinen Gefallen, wenn
man z.B. mit dem
Flugzeug von Wien nach
Salzburg reist!
Bei den Komfortstufen
liegen Railjet und
Langstrecken-Flugzeug
auf gleicher Höhe. Mit
dem Railjet wird ein
Komfort-Konzept
eingeführt, das
100-prozentig dem
Preisgefüge der
Fluggesellschaften
nachempfunden ist. Es
werden Sitzplätze in
drei Kategorien
angeboten: Economy,
First und Premium.
Vergleicht man dann die
Sitzreihen-Bestuhlung
von Flieger, Reisebus
und Railjet, so kommt
der neue Zug sogar am
besten weg. Die
Sitzreihenabstände im
Flugzeug werden (z.B. in
der Lufthansa Economy
Class) mit 81,2 cm
angegeben, die Abstände
im Reisebus betragen
79,5 cm, und der Railjet
bietet immerhin 92,5 cm
(in der Economy Class).
Über die Verfügbarkeit
der ersten Railjet-Züge
wurde bei der Rollout-
Veranstaltung folgende
Aussage gemacht: „Ab 14.
Dezember 2008 verkehrt
ein Zug von Budapest
über Wien nach München,
gleichzeitig fährt der
Railjet-Gegenzug in
umgekehrter Richtung.
Railjets im Anflug auf
2009 von Jürgen GROSCH
Foto: Thomas
OBERKALMSTEINER
Regionale Schienen
4/2008 7 [ FERNVERKEHR ]
Ein dritter Zug pendelt
ausschließlich zwischen
Wien und Budapest. Ab
April 2009 werden
weitere Railjets
zwischen Budapest und
München eingesetzt.“
Die Sicherheit und die
Zuverlässigkeit eines
Railjet-Zuges wird in
hohem Maße von den
antreibenden Lokomotiven
der Taurus- Klasse
bestimmt. Es war eine
weise Entscheidung der
ÖBB, auf diese bewährten
Maschinen
zurückzugreifen, denn
die verwendeten
Baureihen 1116 und 1216
haben seit Jahren eine
sehr hohe
Zuverlässigkeit unter
Beweis gestellt! Hier
gibt es schon lange
keine
„Kinderkrankheiten“
mehr. Und hier zeigt
sich ein weiterer
technischer Vorteil des
Railjet-Konzepts: Der
Zugverband kann (z.B.
bei Störungen im
Oberleitungsbereich)
nötigenfalls auch mit
Diesellokomotiven
gezogen werden. Ein
unbestreitbarer Vorteil
gegenüber dem
ICE-Konzept!
|
Der Steuerwagen
„Spirit of
Linz“, in dem
Sitze der First
Class und der
Premium Class zu
finden sind,
wurde der
Kopfform der
Taurus- Loks
angepasst. Am
vorderen
Drehgestell ist
gut die
Luft-Federung zu
erkennen, die
bei allen Wagen
für sehr
angenehme
Laufeigenschaften
sorgt.
Foto: Jürgen
GROSCH |
Stand der Technik
Es ist leicht zu
behaupten, die Wagen des
Railjets seien nach dem
Stand der Technik der
1990er-Jahre entwickelt
worden, weil z.B. die
Außenwände nicht
tonnenförmig gekrümmt
sind wie bei einem
Flugzeug oder wie beim
ICE. Das hätte man
leicht machen können,
aber dann hätte die
Wagenlänge kürzer
ausgeführt werden
müssen, um bei
Kurvenfahrten noch
Profilfreiheit zu
gewähren. Dadurch hätte
man wiederum weniger
Sitzplätze einbauen
können!
Ein weiterer Kritikpunkt
war der starr gekuppelte
Zug, bei dem kein
weiterer Wagen eingefügt
werden kann. Das ist
nichts anderes als beim
hoch gelobten ICE. Alle
ICE-Züge bestehen auch
nur aus einer festen
Anzahl von Zwischenwagen
und (je nach ICE-Typ)
zusätzlichen Triebköpfen
oder Steuerwagen an den
Zugenden.
Die Anzahl der fest
gekuppelten Wagen wurde
beim Railjet
standardmäßig auf sieben
Stück
festgelegt.Abweichend
davon wird es jedoch
auch möglich sein,
Zehn-Wagen-Züge zu
bilden, die nur von
einer Taurus-Lokomotive
angetrieben werden. Auf
Strecken, die z.B. keine
höhere Geschwindigkeit
als 160 km/h zulassen,
reicht das Zugkraft-
Diagramm der Taurus-Loks
„spielend“ für zehn
Wagen aus.
Vermutlich wird sich
aber später im Betrieb
zeigen, dass zwei
Railjet-Züge (mit je
sieben Wagen und je
einer Lok) als Doppel-
Garnitur verwendet
werden, wenn das
Fahrgast-Aufkommen
besonders hoch ist.
Diese Betriebsform hat,
ähnlich wie beim ICE2,
den Vorteil, dass die
Züge auch geflügelt
werden können. Diese
Möglichkeit steht jedoch
erst zur Verfügung, wenn
genügend neue Railjets
ausgeliefert worden
sind.
Außen-Design und
Innengestaltung
Beim Design der Züge
wollte die ÖBB sehr
kundenfreundlich sein
und hat über die Presse
einen Wettbewerb
ausgeschrieben. Aus drei
farblich sehr
unterschiedlichen
Muster-Lokomotiven wurde
die aktuelle
Farb-Komposition von den
Lesern einer Boulevard-
Zeitung auserkoren. Ob
sich der
Railjet-Betreiber damit
einen Gefallen getan
hat, ist sehr
zweifelhaft. Diese Leser
sind seltener die
zukünftigen Fahrgäste
des Railjets. Zudem ist
die ziemlich
anspruchsvolle
Lackierung (…fünf
verschiedene Farbtöne)
nicht nur zeitaufwendig
in der Produktion der
Wagen, sie stellt auch
bei Wartungsarbeiten
eine
Qualitätsherausforderung
dar.
Über den Geschmack lässt
sich bekanntlich gut
streiten. So sind die
relativ dunklen Farbtöne
der Außen-Lackierung des
Railjets nicht
jedermanns Geschmack!
Und das gleiche gilt für
die dezeten Grautöne des
Innenbereichs, wie auf
unseren Bildern zu sehen
ist. Das wird auf jeden
Fall kein Dauerzustand
sein, denn Züge des
Fernverkehrs wechseln
immer wieder mal Ihr
Aussehen!
|
Ein Wagen mit
First-Class-Großraum-Abteil.
Der Abstand der
einzelnen Sitze,
auch seitlich,
ist beachtlich!
Ein kleiner
Schönheitsfehler:
Die Einteilung
der Fenster
stimmt nicht mit
dem
Sitzreihenabstand
überein.
Foto: Jürgen
GROSCH |
Die Innengestaltung
entspricht dem heutigen
Stand moderner
Hochgeschwindigkeitszüge.
Hier beweist es sich
einmal mehr, dass es
sinnvoll war, die Wagen
von einem Hersteller
bauen zu lassen,der
schon viele hundertWagen
für ganz besonders
schnelle Strecken gebaut
hat! Den hohen
Anforderungen der
Behinderten-
Gleichstellung kann der
Railjet sehr gerecht
werden. Rollstuhl- Lifte
und sehr breite
Durchgänge zwischen den
Wagen sind erfreuliche
Konstruktionsprinzipien
für Reisende, die in
normalen Zügen große
Probleme haben. Mit der
ergonomischen Form der
Sitze (Einzelsitze in
allen drei
Komfortklassen) hat sich
die ÖBB etwas sehr
Bequemes einfallen
lassen. Die
Sitzplatz-Kapazität
eines Sieben-Wagen-Zuges
teilt sich wie folgt
auf:
- 316 Sitzplätze in der
Economy Class
- 66 Sitzplätze in der
First Class
- 16 Sitzplätze in der
Premium Class
(Steuerwagen)
- 10 Sitzplätze im
Bistro-Wagen
Ob der Bistro-Wagen die
richtige Antwort auf die
gestiegenen Ansprüche
von Fernreisenden ist,
ist eine echte
„Geschmacksfrage“. Wenn
man heute mit dem
(alten) EC 63 von
München nach Budapest
fährt, freut man sich
richtig über das gute
alte MAV-Restaurant im
Zug!
Wir wünschen allen
Railjet-Reisenden ab 14.
Dezember 2008 eine
angenehme Fahrt!
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