115 Jahre Pinzgauer Lokalbahn –
ein wechselvolles Jubiläum
Eine Geschichte der verpassten und genutzten Chancen
von
Gunter Mackinger
Im ausklingenden 19.
Jahrhundert war der
Oberpinzgau
verkehrspolitisch
geradezu sprichwörtlich
„im Eck“. Für eher
vermögende Zeitgenossen
gab es zwar eine
Postkutsche – diese
verkehrte einmal täglich
von Zell am See nach
Neukirchen mit einer
Fahrzeit von sechs
Stunden und 45 Minuten
–, aber von dort musste
man den Weg nach Krimml
zu Fuß antreten.
Die am 2. Jänner 1898
eröffnete Pinzgauer
Lokalbahn entwickelte
sich zwar in der Folge
zum Motor der Wirtschaft
und zur Basis für den
Tourismus;
Einzelinteressen und
mangelnde Weitsicht
führten aber in der
Summe zu einer Vielzahl
von verpassten Chancen
durch die Jahrzehnte.
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Windwürfe in den 1920er-Jahren erforderten erstmals den Einsatz leistungsfähiger Dampflokomotiven.
© Foto: Archiv Gunter Mackinger |
Geschichte der verpassten Chancen
-
Obwohl bereits 1889
die Vorkonzession
für eine
„elektrische Bahn“
von Zell am See nach
Krimml erteilt
worden war, dauerte
es rund zehn Jahre,
bis sich die
Talschaft auf das
Was, Wie und Warum
beim Bahnbau einigen
konnte. Man wählte
auch nicht den
zukunftsweisenden
elektrischen
Betrieb, sondern die
traditionelle
Dampftraktion.
-
Bei der
Trassenrevision
(Bauverhandlung)
wurde die Forderung
nach einer direkten
Anbindung von Krimml
erhoben, dies
scheiterte aber
unter dem Druck der
Fuhrleute am Veto
der lokalen Politik:
So endet auch nach
115 Jahren die „Krimmler-
Bahn“ in der
Nachbargemeinde
Wald.
-
Um besonders sparsam
zu sein, beschaffte
man besonders
billige Lokomotiven.
Die Folge davon: Der
Betrieb war
aufwendig und teuer,
und alle vier
Ursprungslokomotiven
erreichten nicht
einmal eine
Lebensdauer von 40
Jahren. Wer billig
baut, baut eben
teuer!
-
Eine Vielzahl von
Versäumnissen bei
Bahnbau und
Bahnbetrieb führte
bald zu Problemen
der nur mangelhaft
mit Kapital
ausgestatteten
Bahngesellschaft,
sodass Lokal-und
Landespolitik
durchaus glücklich
waren, als die
Lokalbahn 1905
verstaatlicht wurde,
womit aber die
Region jede
Gestaltungsmöglichkeit
für die folgenden
100 Jahre
verspielte.
-
Um die Wende vom 19.
zum 20. Jahrhundert
benötigte der
Pferde-Omnibus von
Krimml Bahnhof nach
Krimml Ort ca. 40
Minuten Fahrzeit:
Verständlich, dass
es Projekte einer
Verbindung per
elektrischer
Straßenbahn gab,
doch scheiterten
auch diese am
Widerstand der
Fuhrleute, welche um
ihre Einnahmequellen
fürchteten.
-
Mitte der 1920er
Jahre wurde das
Kraftwerk
Enzingerboden
errichtet. In diesem
Zusammenhang
überlegte man auch
eine
Elektrifizierung der
Pinzgauer Lokalbahn
nach dem Vorbild der
Mariazellerbahn.
Leider unterblieb
dieser wichtige
Schritt, und auch
bald 100 Jahre
später verkehren die
Züge im Nationalpark
nur mit
Verbrennungsmotoren.
-
Rund alle 30 Jahre
erfolgte die
Modernisierung bzw.
Erweiterung des
rollenden Materials.
Sowohl in den
1930er, 1960er,
1980er-Jahren als
auch nach der
Übernahme durch das
Land Salzburg im
neuen Jahrtausend
unterblieb (aus
Kostengründen) die
konsequente
Umstellung auf eine
neue
Fahrzeug-Generation,
d. h., bis heute
bietet die Pinzgauer
Lokalbahn ein
Konglomerat von
Fahrzeugen – dies
beeinträchtigt
natürlich eine
nachhaltige und
wirtschaftliche
Betriebsführung.
-
Fehlende Prinzipien
bei der Raumplanung
führten Mitte der
1960er-Jahre zur
Notwendigkeit der
Anbindung neuer
Siedlungsgebiete im
Oberpinzgau. An
Stelle neuer
Haltestellen und
Bahnhöfe wurde ein
paralleler
Busverkehr
eingerichtet. Allen
Beteuerungen zum
Trotz gibt es diesen
auch im 115. Jahr
der Bahneröffnung
immer noch – und
das, obwohl
zwischenzeitlich
zahlreiche neue
Bahnhaltestellen
geschaffen wurden
und der Betrag von
mehr als einer
Million Euro, den
das Land jährlich in
den Busverkehr
steckt, gut für die
Angebotsausweitung
auf der Schiene
gebraucht würde.
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1998 wurde
überraschend der
Güterverkehr
eingestellt, obwohl
bis 1995 neue
Anschlussbahnen
errichtet worden
waren.
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2008 verkehrte nach 10 Jahren erstmals wieder ein Güterzug auf der
Pinzgauer Lokalbahn.
© Foto: Gunter Mackinger |
Zeit der genutzten
Chancen
Es wäre aber falsch, die
115 Jahre Lokalbahn Zell
am See – Krimml nur als
Geschichte der
verpassten Chancen zu
betrachten! Besonders
die Zeit seit der
Übernahme der Lokalbahn
durch das Land Salzburg
und der Betriebsführung
durch die Salzburger
Lokalbahnen kann ohne
Übertreibung als Zeit
der genutzten Chancen
bewertet werden:
-
Wiederaufbau der
Gesamtstrecke von
Zell am See bis
Krimml mit
erheblichem
Engagement von Bund,
Land und Gemeinden
-
Neutrassierung im
Bereich Neukirchen
-
Errichtung moderner
Kreuzungsbahnhöfe
-
Einrichtung eines
zeitgemäßen
Zugsicherungsystems
-
Einrichtung
zahlreicher
zusätzlicher
Haltestellen
-
Technische Sicherung
von
Eisenbahnkreuzungen
-
Sicherung
nicht-öffentlicher
Eisenbahnübergänge
mit Sperrschranken
-
Konsequenter Betrieb
mit Schaffnerinnen
bzw. Schaffnern und
damit eine
Steigerung der
Fahrgastzahlen durch
Kundenzufriedenheit
um mehrere hundert
Prozent in kürzester
Zeit
-
Schaffung eines
Frauenanteils von
über 50 % bei der
engagierten
Belegschaft
-
Wiederaufnahme des
Güterverkehrs
-
Streckenbegradigungen
und Erhöhung der
Höchstgeschwindigkeit
auf 80 km/h
-
Beschaffung moderner
Fahrzeuge und
Revitalisierung
historischer
Fahrzeuge für das
touristische Segment
-
Einbindung der
lokalen Politik und
Wirtschaft durch
Schaffung eines
Beirates –
-
und vieles, vieles
mehr...
|
2010 kann der Wiederaufbau der Lokalbahn bis Krimml gefeiert werden
Die Verantwortlichen hatten allen Grund zu feiern: v. l. n.r. Christian
Nagl, Baudirekor des Landes Salzburg – Arno Gasteiger, Vorstandssprecher
der Salzburg AG – Wilfried Haslauer, Landeshauptmann Stv. – Gabi
Burgstaller, Landeshauptfrau – Walter Freiberger, Bürgermeister von
Bramberg – Bürgermeister Hans Warter, Vorsitzender des Pinzgauer
Lokalbahn-Beirates.
© Foto: Gunter Mackinger |
Richtige
Weichenstellungen in die
Zukunft
Um für die nächsten 115
Jahre den genutzten
Chancen den Vorzug zu
geben, bedarf es in
unserer Zeit der
richtigen
Weichenstellungen –
diese erfordern
Weitsicht und Mut, sind
aber nicht unmöglich:
-
Konsquenter
Taktfahrplan
zwischen Zell am See
und Mittersill (alle
30 Minuten) bzw.
Zell am See und
Krimml (alle 60
Minuten) bei
Umgestaltung des
Busnetzes zu
Zubringerverkehren
-
Weitere Schaffung
moderner
Kreuzungsbahnhöfe in
Piesendorf,
Niedernsill,
Uttendorf und
Stuhlfelden
-
Nachfragegerechte
Erweiterung des
Fahrparks, besonders
im touristischen
Bereich
-
Verlängerung von
Krimml Bahnhof nach
Krimml Ort und zu
den Wasserfällen
-
Zweigstrecke nach
Kaprun
-
Elektrifizierung der
Bahn unter
besonderer
Berücksichtigung der
Ansprüche des
Nationalparks an die
Mobilität seiner
Gäste
-
Konsequente
Einbeziehung der
Pinzgauer Lokalbahn
in das Marketing der
Region
In diesem Sinn der
kleinen Bahn im
Oberpinzgau und ihren
Mitarbeiterinnen und
Mitarbeitern alles Gute
zum 115. Geburtstag! Und
wir wünschen viele
genutzte Chancen für die
nächsten 115 Jahre!
Weiterführende Links zur Pinzgauer Lokalbahn:
Offizielle Webseite
Zum Autor:
Dir. KR. Gunter
Mackinger |
Direktor und
Betriebsleiter,
Salzburger Lokalbahnen,
Salzburg AG für Energie,
Verkehr und
Telekommunikation.
Funktionen:
• Verkehrsdirektor der
Salzburg AG
• Betriebsleiter für
Eisenbahn und
Obusbetrieb der
Salzburger Lokalbahnen
• Geschäftsführer der
SalzkammergutBahn GmbH
St. Wolfgang und der
Berchtesgadener Land
Bahn GmbH Freilassing |
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