Reisebericht:
Nachtzüge in Europa – Status quo
Viel Raum für Verbesserungen
von
Heinz Högelsberger
Jahrelang befanden sich
Europas Nachtzüge auf
dem Rückzug. Wie im
Artikel von Trevor
Garrod („Hat der
Nachtzug Zukunft?“) in
RS 3/2013 erläutert,
gerieten sie in eine
„Doppelmühle“:
Einerseits entstand
durch Billigfluglinien
eine neue Konkurrenz,
anderseits wurden sie
durch schnelle
Tagesverbindungen auf
neuen
Hochgeschwindigkeitsstrecken
von der Bahnbranche
selbst konkurrenziert.
Titelbild:
Nachtzug der NSB von Bodö nach Trondheim. Die Waggons sind modern und sehr laufruhig.
© Foto: Heinz Högelsberger
Inzwischen scheint die
Lage der Nachtzüge
stabil zu sein.
Billigflieger sind gar
nicht mehr so billig,
und viele Reisende
wollen sich nach wie vor
ihre Menschenwürde
bewahren, was bei den
Sicherheitskontrollen
auf den Flughäfen und
der beengten Sitzweise
in Flugzeugen nicht gut
möglich ist. In Zeiten
der permanenten
Beschleunigung wird die
Reise im Nachtzug als
eine angenehme und
„exotische“ Alternative
angesehen, bei der auch
ökologische Beweggründe
eine Rolle spielen. Da
geraten die
offensichtlichen Vorzüge
von Nachtzügen wieder
mehr in den Fokus;
beispielsweise dass man
am Morgen in der Mitte
einer Stadt ankommt.
Auch die Mitnahme des
Autos ist oft ein
zusätzliches Plus.
Generell ist dabei zu
beobachten, dass
Schlafwagen durchgehend
ausgelastet sind,
während es bei den
Liegewagen starke
saisonale Schwankungen
gibt.
Ob es überhaupt noch
flächendeckend Nachtzüge
gibt, ist regional recht
unterschiedlich. In
Westeuropa hat man sich
von ihnen schon
weitgehend
verabschiedet. Dass es
beispielsweise keine
einzige
Nachtzug-Verbindung mit
der EU-Zentrale Brüssel
gibt, ist ein
verkehrspolitischer
Skandal und ein
typisches Beispiel für
Marktversagen. Nachfrage
gäbe es nämlich genug.
Bei den ÖBB und der DB
ist die Lage stabil, die
noch bestehenden
Verbindungen werden
offenbar nicht in Frage
gestellt. Klassiker
unter den
Nachtzugverbindungen von
Wien sind Vorarlberg,
Zürich, Hamburg, Rom und
Venedig. Hier sind
steigende
Passagierzahlen zu
verzeichnen. Die City
Night Line der DB gibt
es auf 17
Relationen, wobei
diese Anzahl größer
wirkt als sie ist. Die
Nachtzüge werden nämlich
modular geführt und
unterwegs immer wieder
ge- und entkoppelt. So
kann man beispielsweise
von Amsterdam mit City
Night Line nach
Kopenhagen, aber auch
München, Prag oder
Zürich fahren.
Die osteuropäischen
Bahnen bauen den Sektor
vorsichtig aus und
übernehmen oft jene
Destinationen, von denen
sich die ÖBB
zurückgezogen haben;
beispielsweise Wien –
Berlin oder Wien –
Bukarest. Eine
tatsächliche
Offensivstrategie fährt
die Russische
Staatsbahn, die jüngst
auch neue Schlafwagen
gekauft hat.
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Toll, die klappbaren Bänke und Tische am Gang.
© Foto: Heinz Högelsberger |
Unterwegs in Norwegen
In Skandinavien sind
aufgrund der
geografischen
Weitläufigkeit Nachtzüge
nach wie vor integraler
Teil des Bahnsystems,
speziell in Norwegen.
Dort sind die
wichtigsten Städte in
klassischer Nachtzug-
Reisezeit voneinander
entfernt. Folgerichtig
gibt es
Nachtverbindungen von
der Hauptstadt Oslo nach
Bergen, Trondheim und
Stavanger, aber auch
zwischen Trondheim und
Bodö im Norden. Die Züge
sind aus
Großraumsitzwagen, einem
Speisewagen sowie
Schlafwagen
zusammengesetzt.
Letztere bestehen
einheitlich aus
Zweibett-Abteilen. Neben
der Fahrkarte kostet
solch ein Abteil 850 NOK
(ca. 105,– Euro). Bei
Zweierbelegung teilt
sich dieser Betrag;
fährt man allein, zahlt
man ihn zur Gänze. Der
klassische
Schlafwagenschaffner
wurde leider eingespart:
Man muss sich im
Speisewagen die Keycard
für das Abteil holen.
Das ist beim
Ausgangsbahnhof ja noch
praktikabel, beim
späteren Zusteigen mit
viel Gepäck kann diese
Art der Rationalisierung
aber ziemlich ärgerlich
sein.
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Gut auch, dass es abends und in der Nacht einen Speisewagen gibt.
© Foto: Heinz Högelsberger |
Hat man diese Hürde
geschafft, stellt man
fest, dass die Waggons
sehr modern, funktionell
und laufruhig sind. Als
recht praktisch und
beliebt erweisen sich
die klappbaren Bänke und
Tische auf dem Gang.
Angenehm ist auch, dass
es abends und in der
Nacht einen Speisewagen
gibt, auch wenn dieser
designmäßig eine
charmefreie Zone
darstellt. Dort könnte
man auch ein Frühstück
einnehmen, denn dieses
gibt es nicht obligat im
Schlafwagen. Wie denn
auch: Es ist ja niemand
da, der servieren würde!
Zwischen dem
norwegischen
Erzverladehafen Narvik
und der schwedischen
Hauptstadt Stockholm war
der „Nordpfeilen“-Express
jahrelang das
Aushängeschild. Als
Besonderheit diente ein
abgetrennter Teil des
Speisewagens als
rollendes Kino, in dem
man zwei
Abendvorstellungen
anbot. Im Lauf der Jahre
büßte der Zug viel an
Attraktivität und
Qualität ein. Nach einem
Intermezzo, bei dem
Veolia den Zug betrieb,
ist jener wieder in
Händen der schwedischen
Staatsbahn SJ. In
Finnland ist Helsinki
u.a. mit Lappland (z. B.
Rovaniemi) durch
Nachtzüge verbunden.
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Das Abteil-Innere – großer Nachteil bei norwegischen Nachtzügen: Es
gibt keine Liegewagen, sondern nur 2-Bett-Schlafwagen-Abteile. Außerdem
gibt es keinen eigenen Schlafwagenschaffner: Man muss sich im
Speisewagen die Keycard für das Abteil holen.
© Foto: Heinz Högelsberger |
Nachtzug-Angebote
ausweiten, Personal
wertschätzen
Beim bestehenden Angebot
gibt es noch viel Raum
für Verbesserungen. So
wären Nachtzüge nach
Brüssel längst
überfällig. Von München
ausgehend, gibt es City
Night Line-Verbindungen
nach Paris und
Amsterdam. Es wäre toll,
diese Nachtzüge bis Wien
zu verlängern. Mehr
saisonale Verbindungen
von Österreich zu
Urlaubsorten am
Mittelmeer (z. B. Split)
wären ebenfalls
wünschenswert. Bei
zeitig startenden
Nachtzügen vermisst man
einen Speise- oder
Barwagen schmerzlich. Da
das Wagenmaterial der
ÖBB schon in die Jahre
gekommen ist, sollten
rechtzeitig neue
Garnituren angeschafft
werden Das Tarifsystem
sollte konkurrenzfähig,
transparent und
nachvollziehbar
gestaltet sein.
Mehr Augenmerk sollte
auch auf die
Arbeitsbedingungen des
Personals gelegt werden.
Für ältere Beschäftigte
werden die Nachtdienste
nämlich zum wachsenden
Problem. Auch in diesem
Bereich sollte das
Schlagwort vom
„altersgerechten
Arbeiten“ umgesetzt
werden. Schlussendlich
sind auch die Firmen
aufgerufen, für
Dienstreisen Schlafwagen
in Betracht zu ziehen.
Zum Autor:
Dr. phil. Heinz Högelsberger |
Heinz Högelsberger hat
Erdwissenschaften
studiert und war danach
an Universitäten in
Galway (Irland) und Wien
als Forschungsassistent
beschäftigt.
Von 1993
bis 2009 war er für
Umweltorganisationen
(Greenpeace, GLOBAL
2000) als Kampaigner zu
den Bereichen Anti-Atom,
Energie, Klima und
Verkehr tätig.
Seit 2009
bei der Gewerkschaft vida. |
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