Eisenbahn im Reich der Mitte
von
Manfred Vohla
China – welchen Zusammenhang haben Eisenbahnen in China
mit Regionalen Schienen in Mitteleuropa, wird sich die Leserin
und der Leser fragen.Vordergründig wenig, jedoch bekommt der
Begriff „regional“ in einem Land mit über 9,6 Millionen km2
Fläche und 1,3 Milliarden Einwohner, also rund 115 mal größer und
160 mal bevölkerter als Österreich, eine andere Bedeutung.
Die Chinesischen
Eisenbahnen wurden 1876
bei Shanghai zu bauen
begonnen. Sie umfassen
ein Streckennetz von
78.000 km (2007), das
über 100.000 km (Ende
2010) bis 2020 auf
120.000 km wachsen soll.
Über 25.000 km sind
mehrgleisig, über 20.000
km sind elektrifiziert
mit 25kV 50Hz. Die
Reisegeschwindigkeiten
wurden in bisher sechs
Anhebungsprogrammen auf
200 km/h für
konventionelle Reisezüge
und 350 km/h für
High-Speed-Züge
angehoben.
5.000-Tonnen-Güterzüge
mit Doppeltraktion
zwölfachsiger
Doppellokomotiven sind
keine Seltenheit. Die
Spurweite beträgt wie in
Mitteleuropa 1.435 mm,
jedoch beträgt der
Radrückenabstand statt
1.360 nur 1.353 mm. Auch
ist das chinesische
Lichtraumprofil deutlich
größer als das
mitteleuropäische.
Breitspurige
Verbindungen (1.520 mm)
mit Europa bestehen über
Ulan Bator (Mongolei)
und Transibirische
Eisenbahn sowie über
Kasachstan, eine dritte
über Usbekistan wird
derzeit neu erstellt.
Natürlich gibt es auch
Schmalspurbahnen, die
Spurweiten von 600 mm,
762 mm und 1.000 mm
besitzen. Die
bekannteste
Meterspurbahn ist die
1910 eröffnete, derzeit
unterbrochene Verbindung
von Kunming in der
südwestlich gelegenen
Provinz Yunnan über 466
km nach Hanoi, der
Hauptstadt von Vietnam.
Bis auf zwei kurze
fehlende Grenzabschnitte
führt diese „Pan Asia“
Linie über Bangkok und
Kuala Lumpur nach
Singapur!
Aktuell werden drei
Hauptziele im Ausbau des
Schienenverkehrs
verfolgt:
-
Hochgeschwindigkeitsstrecken
bis 380 km/h, CRH –
Chinese Railway
High-speed
-
Erschließung des
Hinterlandes (bis
etwa 2.000 km von
der Küste), um das
wirtschaftliche und
damit verbundene
soziale Gefälle
zwischen den reichen
küstennahen
Metropolen Peking,
Shanghai und
Guangzhou (ehemals
Kanton im Pearl
River Delta) und den
ländlichen Regionen
zu mindern.
-
Ausbau der
Metro-Systeme in den
Metropolen (10
Millionen Einw.) wie
z.B. Peking,
Shanghai und
Guangzhou sowie
Shenzhen (bei
Hongkong), Hongkong,
Tianjin sowie Neubau
in Mittelstädten (5
– 10 Millionen
Einw.), z.B.Wuhan,
Nanjing, Xian,
Hangzhou, Suzhou.
Später, etwa ab 2015
werden vermutlich
S-Bahn-ähnliche Netze
zwischen den Metropolen
und Mittelstädten
errichtet werden.
Neben der staatlichen
Chinese Railway (CR)
gibt es zahllose
Privatbahnen, die in der
Regel von lokalen
Prokuraturen oder
Kohleminen betrieben
werden. Bei letzteren
verkehren noch einige
wenige normalspurige
Dampflokomotiven der
Type „QJ“ und „SY“. 1959
wurden die ersten
Diesellokomotiven
(Baureihefamilie DF Dong
Feng = Ostwind) gebaut.
1958 wurden auch die
ersten
Elektrolokomotiven
entwickelt, jedoch
begann die
Serienproduktion von 819
Stück der ersten
Baureihe SS1 (SS = Shao
Shan,Name des Berges
Shao, an dessen Hängen
Mao Tse-tung, erstes
Staatsoberhaupt der
Volksrepublik China, am
26. 12. 1893 geboren
worden war) erst 1968 in
Zhuzhou, Provinz Hunan.
Ende 2007 beförderten
18.300 Lokomotiven
täglich 3.000
Personenzüge und 33.000
Güterzüge, die aus
44.000 Reisezugwagen und
578.000 Güterwagen
gebildet wurden.
Von 1904 bis 1914 gab es
nach dem Bau der
Schantung-Bahn
(1899-1904) direkte
Kurswagen vom Hauptort
des „Deutschen
Schutzgebietes
Kiautschou“ Tschingtau,
heute Qingtao („grüne
Insel“) nach Berlin. Die
Fahrzeit betrug 12 bis
14 Tage. Diese Stadt ist
als Seebad am Gelben
Meer ebenso bekannt wie
für das beste
chinesische Bier „Tsingtao
beer“, das seit 1903
nach dem bayrischen
Reinheitsgebot gebraut
wird.
Beeindruckend ist auch
der Nachtverkehr z.B.
zwischen Peking und
Shanghai: zwischen 19
Uhr und 20:30 verlassen
jeweils im
7-Minuten-Takt
18-Wagen-Schlafwagen-Züge
(ca. 500 m lang) mit
zwölfachsigen
Lokomotiven der Baureihe
DF11G den jeweiligen
Abfahrtsort, um nach
1.463 km Non-stop-Fahrt
das Ziel nach weniger
als 12 Stunden zu
erreichen. Der Komfort
in den „Softsleeper“-
Schlafwagen mit
Vierer-Abteilen ist
demjenigen der besten
österreichischen
Schlafwagen im Wiener
Walzer (Wien – Zürich)
nicht nur ebenbürtig,
sondern überlegen.
Einzig das Frühstück ist
gewöhnungsbedürftig.
Diese durch den
Flugverkehr im
15-Minuten-Takt
konkurrenzierte
Fernverbindung wird
durch eine Neubaustrecke
für 350 km/h auf etwas
unter fünf Stunden
Fahrzeit beschleunigt,
womit sie in der
Relation zwischen den
Stadtzentren absolut
konkurrenzfähig sein
wird.
Der chinesische
Hochgeschwindigkeitsverkehr
CRH wird aktuell mit
vier Typen von 8- und
16-teiligen Triebzügen
abgewickelt, wobei die
real gefahrenen
maximalen
Geschwindigkeiten
oftmals deutlich höher
als die zugelassenen
Betriebsgeschwindigkeiten
der westlichen
Fahrzeughersteller sind
– ganz entsprechend dem
unbändigen
Fortschrittsglauben, der
seit Jahren in China
herrscht:
• DJJ1 „Blue star“
von ZELC Zhuzhou
210 km/h, 8x (6 Wagen +
2 Triebköpfe) = 60
Fahrzeuge 2000–2008
• DJJ2 „Chian star“
von ZELC Zhuzhou
270 km/h, 1x (9 Wagen +
2 Triebköpfe) = 11
Fahrzeuge Prototyp
2006–2007, erreichte nur
160 km/h
• CRH1 „Regina“
Bombardier 180/200
km/h, 50x8 + 40x16 = 960
Wagen
• CRH2 „E2 Shinkansen“
Kawasaki 200/250
km/h, 60x8 + 40x16 =
1200 Wagen
• CRH3 „Velaro C“
Siemens (ICE3)
300/350 km/h, 14x8 = 112
Wagen 125x16 = 2000
Wagen in Bau vmax =
394,3 km/h am 24. 6.
2008
• CRH5 „Pendolino“
Alstom 250 km/h,
60x8 = 480 Wagen
Die Bezeichnung CRH4
wurde übersprungen, weil
vier als Unglückszahl
gilt.
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Netzplan der SMOC (Shanghai Metro Operating Company) 2020 (877 km).
Distanz zwischen den Flughäfen Pudong und Hongqiao ca. 60 km, grün: Linie 2, blau/orange: Transrapid
Quelle: Manfred VOHLA |
Erwähnt muss hier auch
die 2006 eröffnete
Tibetbahn werden, auf
der von Peking und
Shanghai direkte Züge
bis Lhasa, der
Hauptstadt Tibets,
verkehren. Die Züge sind
rund 6 Monate im Voraus
ausgebucht
(Normalfahrkarten gäbe
es sonst eine Woche im
Voraus am Schalter zu
kaufen), die
touristische
Erschließung erlebt eine
völlig neue Dimension
und soll so Wohlstand
nach Tibet bringen, aber
auch Tibet näher an
„China mainland“ binden,
Bodenschätze zugänglich
machen und den Einfluß
der Han-Chinesen
vergrößern. Die Strecke
steigt auf 5.072 m beim
Tanggula-Pass, knapp
1.000 Streckenkilometer
liegen über 4.000 m
Höhe. Alle Reisezugwagen
sind druckertüchtigt
ausgeführt und besitzen
Kompressoren für eine
zusätzliche
Sauerstoffversorgung.
Die Züge verkehren
derzeit mit
Dreifach-Dieseltraktion,
die Elektrifizierung
wird überlegt,
Stichstrecken im Tal des
Tsangpo-Flusses zu zwei
neuen Minen sind im Bau.
Die Fahrt Shanghai –
Lhasa benötigt 48
Stunden 58 min und
kostet 406 RMB (rund 40
Euro). Die Züge von
Peking nach Lhasa
benötigen für die 4.064
km knapp zwei Tage,
nämlich 47 Stunden und
28 Minuten. Im Sitzwagen
kostet der „Spaß“ 389
RMB (39 Euro), im
Schlafwagen 1262 RMB
(126 Euro). Über all
diesen Bahnlinien und
Bahnverwaltungen steht
das äußerst mächtige
Ministry of Railways (MoR).
U-Bahn-Systeme hingegen
liegen in der
Verantwortung der
jeweiligen
Stadtregierung, werden
aber von der NDRC
(National Development &
Reform Commission)
koordiniert und
standardisiert.
Die U-Bahnen der
größeren Bauart A
verkehren als Züge mit
bis zu 8 Wagen, wobei
jeder 22 m lange Wagen 5
Türen pro Seite besitzt
und voll beladen gegen
66 t wiegt. Das größte
Netz befindet sich
aktuell in Schanghai mit
8 Linien, 2-Minuten-Takt
zur Rush Hour, 170
Stationen, 250 km
Streckenlänge und 3
Millionen Fahrgäste
täglich. Als Spitzenwert
pro Tag wurden über 4
Mio. Fahrgäste gezählt.
Die Züge sind
klimatisiert, einzelne
Linien besitzen
Bahnsteigtüren. Die
Spitzengeschwindigkeiten
betragen zwischen 80
km/h, 100 km/h und 120
km/h. Die meisten Linien
sind konventionell mit
1.500 V=DC über eine
Oberleitung angetrieben,
es gibt aber auch
einzelne Linien in
Guangzhou und Peking mit
Linearmotorantrieb. Bis
Ende 2010 soll in
Schanghai die Netzlänge
auf 500 km, bis Ende
2020 auf 877 km in 22
Linien ausgedehnt
werden. Eine einfache
Fahrt kostet 30 Cent,
Langstrecken max. 90
Cent. In Peking kostet
eine Fahrt einheitlich
20 Cent.
Neben den bestehenden
Netzen werden aktuell in
22 weiteren Städten
U-Bahn- Systeme gebaut.
In einzelnen Fällen
werden auch
Straßenbahnsysteme neu
errichtet oder
Monorail-Bahnen
erstellt.


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OBEN: 18-Wagen-Schnellzug (450 m) mit DF11 von Urumqi (Hauptstadt der Urigurischen Provinz)
nach Shanghai in Suzhou.
MITTE: Lokparade in der Montagehalle von Qishuyan Locomotive Works Changzhou: DF4,
DF4B, SS4.
UNTEN: 8-Wagen-Zug (195,2 m) der Shanghai Line 2 West Extension mit 40+2 Türen pro
Zugseite (zum Vergleich: V-Wagen U-Bahn Wien: 111,2 m, 18+2 Türen).
Fotos (3): Manfred VOHLA |
Zusammenfassend erkennt
man deutlich das
Bestreben der
Zentralregierung, sowohl
die lokalen, als auch
die nationalen
ausufernden
Verkehrsprobleme einer
schnell wachsenden
Volkswirtschaft durch
den Ausbau des
Öffentlichen Verkehrs in
den Griff zu bekommen,
obwohl auch das ganze
Land mit 6- und
8-spurigen Autobahnen
überzogen wird. Trotz
explodierender
Zulassungszahlen im
Individualverkehr hat
die politische Führung
erkannt, dass das
Staatsgefüge durch ein
allzu großes
Wohlstandsgefälle
grundsätzlich
erschüttert zu werden
droht. Der notwendige
Ausgleich bedingt
entsprechende
Infrastrukturen und
Verkehrsangebote bzw.
Infrastrukturen ganz
generell, speziell aber
in den ländlichen
Regionen des
Hinterlandes. Gleiches
gilt auch in Österreich
unter dem Schlagwort
„Urbanisierung“, der
jedoch hier nicht
gegengesteuert wird.
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