Der Obus ist tot, es lebe der Obus*
Um es vorwegzunehmen: Die Epoche der Mobilität auf Basis
erneuerbarer Energien ist angebrochen! Die E-Mobilität wird
kommen – wenn auch nicht so schnell, wie es viele versprechen
oder sich wünschen.
von Horst Schaffer
Dies war eine der
zentralen Botschaften
renommierter Referenten
an der Konferenz „Neue
Horizonte im
Stadtverkehr. Innovative
E-Bus-Systeme für
lebenswerte Städte“, die
am 30. November und 1.
Dezember 2010 vom
internationalen Verein „Trolley-
Motion“ im
schweizerischen Luzern
stattgefunden hat.
Dass die individuelle
E-Mobilität eine große
Herausforderung für die
Fahrzeugindustrie
darstellen wird, die
viele Firmen nicht
meistern werden, bzw.
dass die für die Lösung
der vielfältigen neuen
technischen Probleme
geeigneten Techniker und
Ingenieure erst noch
ausgebildet werden
müssen, waren weitere
Schlussfolgerungen, die
z. B. Urs Muntwyler,
Vorsitzender des „Hybrid
and Electric Vehicle
Implementing
Agreement-Ausschusses“
der Internationalen
Energie-Agentur (IEA),
den über 220 Anwesenden
präsentierte.
Technisch gesehen,
werden die individuelle
und die öffentliche
E-Mobilität weitgehend
getrennte Wege gehen.
Zwar werden Komponenten
gemeinsam genutzt werden
können, aber die
energetischen
Anforderungen und die
potenziellen
Fahrzeugmengen beider
Mobilitätsarten sind
doch zu unterschiedlich.
Hingegen besteht die
objektive Gefahr, dass
in den Augen
verschiedener Politiker
die fast lautlose und
ökologisch musterhafte
individuelle E-Mobilität
den Öffentlichen Verkehr
überflüssig machen
könnte. Michael Güller,
ein international
engagierter und
erfolgreicher Architekt
und Urbanist, zeigte
auf, dass in
Agglomerationen immer
weniger der Trend zur
räumlichen Ausweitung
mit entsprechenden
Mobilitätsbedürfnissen
bestehen wird, sondern
die ökologisch
orientierte
Rekonstruktion
bestehender
Siedlungsgebiete bzw.
die Nutzung
zentrumsnaher
Freiflächen ins Zentrum
rücken müssen. Anhand
von aktuellen Beispielen
aus Paris, Genf und
Zürich wurde aufgezeigt,
wie viel Energie durch
geeignete Bauweisen und
die Erschließung dieser
Gebiete durch effiziente
öffentliche
Verkehrsmittel
eingespart werden kann.
Die Probleme der
begrenzten Straßenräume
und die damit
verbundenen Staus kann
selbst das ökologisch
beste Auto niemals
lösen.
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Vergleich der externen gesamten Lebenszyklus-Kosten einer Flotte von 64 Bussen mit unterschiedlichen Antriebssystemen.
Quelle: Dr. Ralf Pütz, VDV Deutschland, ergänzt von H. Schaffer mit Pfeil 5 |
Es
wird in Zukunft erst
recht leistungsfähige
und attraktive
öffentliche
Verkehrssysteme
brauchen. Für
Schienenbahnen des
Öffentlichen Nahverkehrs
sind elektrische
Antriebe schon längst
eine
Selbstverständlichkeit.
Aber auch beim Trolleybus-/Obus- System
hat der elektrische
Antrieb schon eine lange
Tradition.
Verschiedene Referenten
konnten daher auch nicht
umhin, zu betonen, dass
der Trolleybus/Obus
ökologisch nach wie vor
das Maß aller Dinge ist,
speziell dann, wenn er
mit Strom aus
regenerierbaren
Energiequellen betrieben
wird. Mit der
Feststellung, dass
derartige Systeme bei
der Politik wegen der
erforderlichen
Fahrleitung sehr
schlechte Karten haben,
wurde das Trolleybus-
System gerne mehr oder
weniger totgeschwiegen,
bzw. schwenkten die
Vorträge dann gerne zu
den „innovativeren“
Hybrid-, Batterie- und
Brennstoffzellenbussen.
Es ist auf jeden Fall
sehr zu begrüßen, dass
derartige „Innovationen“
stattfinden. Schließlich
können nicht alle
öffentlichen städtischen
Mobilitätsprobleme mit
Obussen gelöst werden
und schon gar nicht mit
Stadtbahnen. Trotzdem:
Alle diese Systeme
wollen ökologisch
eigentlich dorthin
kommen, wo der Obus
heute bereits ist.
Nachdem französische
Städte der Welt gezeigt
haben, wie moderne
Stadtbahnsysteme
aussehen müssen bzw. was
sie für eine
Stadtentwicklung
bedeuten können,
demonstrieren sie nun
auch, wie man Bussysteme
mit hoher
Angebotsqualität
erfolgreich in
bestehende
Stadtstrukturen
einbinden und betreiben
kann.
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Die BusWay-Linie 4 in Nantes. Attraktive Haltestellen und absolute Priorität für die Busse auf
der freien Strecke.
Foto: Horst Schaffer, 2010 |
Die nordfranzösische
Stadt Nantes hat nach
dem Bau von drei
Stadtbahnlinien aus
Kostengründen mit ihrem
„BusWay- System“ ein
sogenanntes BHNSSystem
(Bus à haut niveau de
service = Bus mit hohem
Serviceniveau)
realisiert, das den
Kunden die Qualitäten
einer Stadtbahn bieten
kann, jedoch mit
deutlich geringeren
Kosten und in wesentlich
kürzerer Zeit als eine
Stadtbahn verfügbar war.
Heute verkehren 18 m
lange Gelenkbusse mit
Gasmotoren auf dieser
Linie. Der Erfolg hat
das System an seine
Leistungsgrenze
gebracht. Nun denkt man
ernsthaft über eine
Elektrifizierung dieser
Linie und den Einsatz
leistungsfähigerer bzw.
längerer Fahrzeuge nach.
Die Stadt Lausanne im
Westen der Schweiz plant
nach der erfolgreichen
Inbetriebnahme der
VAL-Metrolinie m2 eine
neue Straßenbahnlinie
sowie ebenfalls ein
BHNS-System mit
elektrisch angetriebenen
Fahrzeugen. Auch weitere
französische Städte
haben ähnliche
Ambitionen, wie z.B.
Metz, wo zur Zeit eine
Ausschreibung für
geeignete
Elektrofahrzeuge für ein
neues BHNS-System läuft.
Mit elektrisch
angetriebenen Fahrzeugen
können derartige
BHNS-Systeme praktisch
auf „Augenhöhe“ moderner
Stadtbahnsysteme
bezüglich Kapazität,
Qualität und
Elektrizität angehoben
werden. Derartige
Systeme sind somit noch
mehr als „nur“
Alternativen zu
Stadtbahnen, denn mit
dem gleichen Geld, das
eine Stadtbahnlinie
kostet, kann man zwei
bis drei BHNS-Linien
eines attraktiven
ÖV-Netzes mit hohem
Serviceniveau
realisieren.
Die für solche Systeme
ideal geeigneten und
bereits in vier
Schweizer Städten
eingesetzten ca. 25 m
langen Doppelgelenk-
Trolleybusse sind eine
markante Innovation des
Obus-Systems und bieten
die
Beförderungskapazität
einer Stadtbahn. Diese
Fahrzeuge benötigen für
einen zuverlässigen
Betrieb zwei
angetriebene Achsen, was
sich nur elektrisch
überzeugend lösen lässt.
Nur rein elektrisch
angetriebene Fahrzeuge
bieten, selbst in
Steigungen, eine hohe
und stufenlose
Anfahrbeschleunigung,
einen ruckfreien
Fahrkomfort sowie einen
tiefen Lärmpegel und
damit einen noch höheren
Grad an Qualität für
Kunden und Anwohner als
Stadtbahnsysteme.
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Bildmontage eines BHNS-Streckenabschnitts des geplanten „réseau-t“-Systems mit hoher
Service-Qualität der tl Lausanne.
Quelle: Christophe Jemelin, Transports Publics de la Région Lausannoise |
Last but not least ist
die Nutzung der
elektrischen Energie aus
regenerierbaren Quellen
ein ökologisches Muss.
Man kann die störenden
Fahrleitungen als
Gegenargument gegen den
Obus bewerten, wie man
will. Unbestritten ist,
dass die „Schienen am
Himmel“ als
Alleinstellungsmerkmal
allen potenziellen
Kunden eine fixe
Trassenführung
garantieren.
Zweifellos werden auch
Hybridoder
Batteriefahrzeuge für
bestimmte Anwendungen
oder als Zubringer in
Frage kommen. Sobald
aber größere Steigungen
zu überwinden sind,
müssen große
Energiemengen zugeführt
werden, was auch
mittelfristig nur über
klassische Fahrleitungen
möglich ist.
Dies darf jedoch auch
nicht darüber
hinwegtäuschen, dass es
noch einiger
Anstrengungen bedarf, um
Trolleybus-Systeme
mindestens
abschnittsweise auch
ohne Fahrleitung
zuverlässig betreiben zu
können. Mit zunehmend
leistungsfähigeren
Batterien und in
Kombination mit
Superkondensatoren (Supercaps)
können Trolleybusse auch
größere Abschnitte ohne
Fahrleitung befahren.
Wenn es der Industrie
gelingt, entweder
induktive
Stromzuführungen oder
ein automatisches Aus-
und Eindrahten während
der Fahrt zu
ermöglichen, dann wäre
eine neue Generation von
Obussen verfügbar, die
mindestens
abschnittsweise ohne
Fahrleitung auskommen
könnten.
Diese neue Generation
des Trolley- bzw.
Obus-Systems wäre dann
eine elektrische
Weiterentwicklung des
französischen
BHNS-Systems und würde
mittleren, aber auch
größeren Städten die
Chance bieten, einen ÖV
mit hoher Qualität zu
moderaten Kosten und in
kurzer Zeit realisieren
zu können. Der
Trolleybus der neuen
Generation wäre damit
definitiv eine
„bezahlbare Stadtbahn“.
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Renommierte Teilnehmer an der Podiumsdiskussion v. l. n. r.: Daniel Steiner (GF Kummler+ Matter
AG),Wolfgang Presinger (Solaris), Dr. Norbert Schmassmann (GF Verkehrsbetriebe Luzern),
Markus Maibach (Moderator INFRAS AG), Prof. Vincenz V. Härri (Hochschule Luzern) und Urs
Hanselmann (GF Basler Verkehrs-Betriebe).
Foto: Horst Schaffer |
Fazit
• Allen Unkenrufen zum
Trotz ist der Obus nach
wie vor, ökologisch
gesehen, das Maß aller
Dinge.
• Die Entwicklung von
Hybrid-, Batterie- und
Brennstoffzellenbussen
ist für den Trolleybus
keine Konkurrenz,
sondern sollte zur
Entwicklung einer
breiten Palette von
E-Bussen für
unterschiedlichste
Anforderungen führen.
Technisch gesehen,
können und müssen alle
Systeme voneinander
profitieren.
• Trolleybus-Systeme der
neuen Generation eignen
sich ideal für stark
belastete ÖV-Linien
sowohl auf eigenen
Fahrspuren als auch in
urbanen Räumen mit
schmalen Straßen und
Steigungen.
• Städte, die bereits
ein Trolleybus-System
besitzen, sind
angesichts der
zunehmenden Knappheit
ihrer Ressourcen (Geld,
Platz für Mobilität und
Energie) schlecht
beraten, dieses
aufzugeben. Man muss
ernsthaft darüber
nachdenken, das System
auf ein
BHNS-Qualitätsniveau
anzuheben und sich damit
den Bau einer Stadtbahn
zu ersparen.
• Die einschlägige
Industrie ist gefordert,
Systeme weiter zu
entwickeln, die es dem
Obus erlauben, über
größere Distanzen ohne
Fahrleitung auszukommen.
Ein Aufladen oder
Wechseln der Batterien
während der
Haltestellenaufenthalte
ist für den Betrieb von
stark belasteten Linien
keine überzeugende
Lösung.
• Analog zu den
Entwicklungen bei
Stadtbahnen sind
Anbieter gesucht, die
neben den Fahrzeugen
komplette Systeme
planen, vermarkten,
finanzieren, realisieren
und betreiben können.
Alle Vorträge der
Konferenz in Luzern
können über
www.trolleymotion.org
abgerufen werden.
TNG: Der Trolleybus der neuen Generation oder
die Weitergabe der Chancen *² |
Die erste Obusgeneration entwickelte sich in der Zeit um den Ersten Weltkrieg herum, da Verbrennungsmotoren damals noch zu geringe Leistungen erbrachten. Schlechte Straßen verhinderten eine große Verbreitung. Lokalbahnen und später, mit besseren Straßen, auch Benzinbusse waren die großen Konkurrenten.
Während des Zweiten
Weltkriegs verhalf der
Mangel an Treibstoff und
Stahl für Schienen dem
Obus zu einem zweiten
Aufschwung.
Nach Ende dieses Krieges
fehlte in vielen
kleineren und
mittelgroßen Städten das
Geld für die Erneuerung
der veralteten
Straßenbahnsysteme. In
Ermangelung
leistungsfähiger
Autobusse waren Obusse
der dritten Generation
die geeignete Lösung.
Manch einer dieser
Betriebe hat bis heute
überlebt und bietet
diesen Städten die
Chance, den ÖV
ökologisch zu gestalten.
Die vierte – und damit
eine neue – Generation
des Trolleyoder
Obus-Systems könnte eine
elektrische Variante des
französischen
BHNS-Systems sein und
mittleren, aber auch
größeren Städten die
Chance bieten, einen ÖV
mit hoher
Servicequalität zu
moderaten Kosten und in
relativ kurzer Zeit
anbieten zu können. TNG,
der Trolleybus der Neuen
Generation, wäre somit
die „bezahlbare
Stadtbahn“.
Horst Schaffer |
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|
* * *
*1)
Der Obus ist tot, es
lebe der Obus: Aus Wikipedia: „Le roi est
mort, vive le roi“
(französisch für „Der
König ist tot, es lebe
der König“) ist die
Heroldsformel, mit der
in Frankreich der Tod
des alten Königs bekannt
gegeben und gleichzeitig
der neue ausgerufen
wurde. Bis heute wird
die deutsche Übersetzung
des Zitats als
Redewendung gebraucht,
um Kontinuität
auszudrücken.
*²) Frei nach Thomas
Morus:„Tradition ist
nicht das Halten der
Asche, sondern das
Weitergeben der Flamme“
|