Die Zukunft der Städte
Neues Lebensgefühl an der Côte d'Azur – mit lautlosen Straßenbahnen auf
Rasengleis auch im Zentrum
von Harald A. Jahn
Die Veränderung der Welt
beschleunigt sich, die
Städte stehen, genau wie
ihre Bürger auch, vor
neuen Herausforderungen.
Vermeintlich steigende
Verkehrsbedürfnisse,
Auseinanderdriften der
sozialen Gruppen, Zu-
und Abwanderung, knapper
werdende materielle
Ressourcen: Schwierige
Aufgaben warten auf die
Städte. Vor allem
verstehen aber erst
wenige wirklich die
Tragweite des Begriffs
„Peak Oil“: Die
abnehmende Fördermenge
und der steigende
Verbrauch in den
früheren
Entwicklungsländern
werden in den nächsten
Jahren zu einem enormen
Anstieg der
Energiepreise führen.
Peak Oil ist kein
Zukunftsszenario – Peak
Oil ist jetzt.
Österreichs Städte sind
darauf nicht
vorbereitet, immer noch
versucht man geradezu
fanatisch, in
unmaßstäbliche
Verkehrsgroßprojekte zu
investieren: Die neue
Gürtelabfahrt der
Südosttangente in Wien,
die Linzer
Westringautobahn – es
scheint fast so, als
möchte man erreichen,
mit möglichst hoher
Geschwindigkeit an die
Wand zu fahren.
Seit 2008 hat eine immer
schärfer werdende Krise
die Wirtschaftswelt
erfasst; 2010 beginnen
die Schulden der
europäischen Staaten die
Grenzen der bisherigen
Wirtschaftskonzepte
aufzuzeigen. Konsum um
jeden Preis und ewiges
Wachstum werden zu einem
Auslaufmodell; den
Menschen wird immer
klarer, dass das seit
Jahrzehnten gewohnte
System ein Ablaufdatum
hat. Die Schuldenkrise
der Gemeinden, Städte,
Länder wird uns die
nächsten Jahre, eher
Jahrzehnte, begleiten;
die knapper werdenden
Mittel in einzelne
Großprojekte zu
investieren erscheint
verantwortungslos.
Tatsächlich beginnen
immer mehr Kommunen, vor
allem in Westeuropa, die
Stadt wieder nach
menschlichen Maßstäben
umzugestalten – und je
konsequenter dies
geschieht, desto
überzeugender sind die
Ergebnisse. Immer mehr
Städte erkennen, dass
nicht pompöse
Hochhausviertel oder
glitzernde
Einkaufszentren ihren
Erfolg ausmachen,
sondern kleinräumige
Umgestaltung nach den
Bedürfnissen des
einzelnen Individuums.
Zentrale Rolle im
Stadtumbau spielen der
öffentliche Raum und die
Aufteilung der Fläche
für Zwecke des
Aufenthalts oder der
Fortbewegung. Es ist
tatsächlich die ganz
einfache Kernfrage: Ist
die Stadt so lebenswert,
dass sich die Bürger
gerne in ihrer
unmittelbaren
Wohnumgebung aufhalten –
oder muss man die freien
Flächen denen zur
Verfügung stellen, die
mit ihren
Kraftfahrzeugen
möglichst schnell
wegwollen? Es liegt auf
der Hand: Ist die
Nachfrage nach schnellen
FORT-Bewegungsmitteln so
stark, dass man ihr den
größten Teil des
öffentlichen Raums
widmen muss, dann
machten die Regierenden
der Stadt offensichtlich
Fehler. Diese Fehler
müssen nicht passieren,
und wo sie gemacht
wurden, können sie
korrigiert werden. Seit
den 1960er-Jahren wurden
die Städte konsequent
für den Autoverkehr
umgebaut. Nun steht uns
ein erneuter Umbau
bevor, diesmal zum Wohl
des Einzelnen, zur
Erhöhung der
Lebensqualität im
unmittelbaren
Wohnumfeld. Auch wenn es
in Österreich noch
unvorstellbar scheint –
anderswo hat dieser
Rückbau bereits
begonnen.
Eine wesentliche
Erkenntnis dabei ist,
dass das Gegenteil der
bisherigen Praxis
notwendig ist:
Verkehrsreduktion statt
neuer Straßen,
Entschleunigung statt
Geschwindigkeitswahn,
Qualität statt reiner
Transportleistung. Die
Stadt selbst muss die
Aufenthaltsqualität
bieten, die so viele am
Stadtrand gesucht haben.
Die menschliche
Dimension, die
Kleinräumigkeit muss
wiedergefunden werden.
Abgewirtschaftete
Stadtviertel, abgewohnte
Straßen müssen
wiederbelebt und neu
interpretiert werden.
Das Auto muss die
Dominanz verlieren; auch
die Menschen müssen
wieder zueinander
finden, den öffentlichen
Raum neu entdecken und
besetzen. Nimmt man die
Geschwindigkeit aus der
Stadt, wächst ihre
Qualität. Verhindert man
das moderne Nomadentum,
gewinnt die Stadt ihre
Kraft zurück. Entfernt
man den egoistischen
Autoverkehr, wird die
Gesellschaft sozialer.
Ein Land in Europa geht
mit der ihm eigenen
Konsequenz diesen neuen
Weg: Etliche Städte in
Frankreich haben
begonnen, neue
elektrische
Verkehrssysteme
einzuführen, und fast
immer sind es
Straßenbahnen neuer
Generation. Immer wird
dabei der Autoverkehr
reduziert, werden
Fahrstreifen ersatzlos
aufgelassen,
Fußgängerbereiche
geschaffen, die
Stadträume rekultiviert.
Es war aufgrund der
Gesetzeslage in
Frankreich sicher
einfacher als anderswo,
diesen Prozess zu
beginnen. Mehr als in
anderen Ländern steht
dort das Allgemeinwohl
über den Ansprüchen
Einzelner. Die
Ballungsräume sind
mittlerweile
verpflichtet,
Verkehrsentwicklungsplänen
zu folgen, die
ausdrücklich
umweltfreundliche
Maßnahmen vorschreiben:
von der Stärkung des
Fußgänger-, Fahrrad- und
Öffentlichen Verkehrs
über die Reduktion des
Autoverkehrs bis hin zum
Auftrag an die
Arbeitgeber, ihre
Mitarbeiter zum
„Umsteigen“ auf den
Umweltverbund zu
animieren. Auffällig
schon hier der im
Vergleich
gesamtheitliche Ansatz.
„Die Straßenbahn hat
uns einen Park
gebracht!“
Das ist eine oft gehörte
Aussage der Bürger
französischer Städte.
Zentraler Punkt der
dortigen Stadtumbauten
ist die Begrünung des
öffentlichen Raums. Das
Rasengleis wurde zum
zentralen
Sympathieträger der
neuen Verkehrssysteme.
Es ist nicht nur schön,
sondern ein wichtiges
Element im lokalen
Klima, im Mikroklima der
Stadt. Ansätze zur
Verbesserung des
Stadtklimas gibt es
zahlreiche, und sie
haben alle den Vorteil,
dass sie die
Aufenthaltsqualität im
öffentlichen Raum massiv
erhöhen. Abgesehen von
rein technischen
Argumenten ist schlicht
das Wohlbefinden der
Stadtbewohner der
wichtigste Grund für die
intensive Begrünung der
Stadt – und die
Straßenbahn der neuen
Generation das einzige
Verkehrsmittel, das neue
Grünräume an Stellen
ermöglicht, die früher
dafür niemals in Frage
gekommen wären.
|
Das Gesicht der Zukunft: Design pur bei der Straßenbahn in
Straßburg.
Foto: Harald A.
Jahn |
Die neuen Züge gleiten
lautlos über englischen
Rasen, bunte Blumen oder
robuste Kräuter,
erreichen auf
Vorortstrecken hohe
Geschwindigkeiten und
rollen im Schritttempo
durch Fußgängerzonen.
Sie sind dort, wo der
Bürger sie braucht,
leicht zu erreichen,
billig zu errichten. Sie
verknüpfen die
Geschäftsstraßen mit den
Außenbezirken und dem
Umland, sie sind
flexibel, langlebig und
zuverlässig – und bieten
eine echte Alternative
zum Autoverkehr, wenn
man sie richtig baut.
Wie das geht und wie man
es schafft, dass die
Bevölkerung darauf
begeistert reagiert,
beweisen die bereits
fast 30 Städte in
Frankreich, die in den
letzten 25 Jahren neue
Straßenbahnen errichtet
haben.
|
Nantes: sorgfältigste Aufwertung des Straßenraumes nach Bau
der Straßenbahn: „Die Tramway hat uns einen Park gebracht“;
sagen die Bewohner.
Foto: Harald A.
Jahn |
Die sorgfältige
Durchgestaltung des
Gesamtsystems – von der
Pflasterung und
Begrünung bis hin zu den
Haltestellen und
Fahrzeugen – führen zu
hoher Identifikation der
Bevölkerung mit dem
neuen Verkehrsmittel. Wie
in so vielen Bereichen
des Lebens bestimmen
auch hier Gefühle und
Eindrücke den Zugang zur
Sache, nicht technische
Daten oder
Geschwindigkeitsvorteile.
Die neuen Bahnen sind
einfach „très chic“, man
nutzt sie nicht, weil
man keine andere Wahl
hat, sondern weil man
damit „dem armen
altmodischen Autofahrer“
etwas voraus hat.
Die Straßenbahn bringt
damit genau die so oft
geforderte
Entschleunigung, die so
oft geforderte Stadt der
kurzen Wege und mit der
ihr folgenden
Neugestaltung der
Straßen genau das, was
so vielen Städten
verlorengegangen ist:
Ruhe im unmittelbaren
Wohnumfeld, höchste
Aufenthaltsqualität auf
Straßen, die wieder zum
Lebensraum werden, viel
Grün, Plätze als Orte
der Begegnung statt
Verkehrswüsten. Es sind
erste Schritte in eine
neue Zeit, die zeigen,
dass die „Post-Oil-City“
Realität werden kann.
Große Veränderungen
machen vielen Menschen
Angst, aber die
französischen Städte
machen deutlich, dass
sie unbegründet ist,
dass der Verzicht auf
ungehemmten Autoverkehr
Vorteile für alle
bringt. Die Straßenbahn
ist die städtebauliche
Idee des Jahrhunderts –
und sie ist die Zukunft
der Städte.
Zum Autor |
Harald A. Jahn
ist Fotograf und Autor,
beschäftigt sich mit
Architektur,
Stadtplanung,
Wirtschaft, Soziologie
und Vernetzung. Er
betreibt die Bildagentur
Viennaslide mit
Schwerpunkt auf Reise-
und
Architekturfotografie.
Weiters ist er Betreiber
der Website
www.tramway.at und Autor
des kürzlich
erschienenen Buches „Die
Zukunft der Städte – Die
französische Straßenbahn
und die Wiedergeburt des
urbanen Raumes“ |
|
|
|