Öffentlicher Verkehr und Siedlungskonzentration
Eine ökonomisch-symbiotische Notwendigkeit
von Johannes Lebesmühlbacher
Wo wohnen?
Wo sich am besten
niederlassen?
Eine Entscheidung, vor
der jeder Mensch
zumindest einmal im
Leben – ob im lokalen,
regionalen oder gar
globalen Maßstab – mehr
oder weniger bewusst
steht. Herr und Frau
Österreicher leben am
liebsten in jenen vier
Wänden, die sie auch ihr
Eigen nennen können. Die
Wohn-Standortwahl ist
daher auch oftmals eine
Entscheidung mit
langfristigen Folgen,
weil mit hohem Aufwand
und vor allem mit
erheblichem
Investitionsvolumen
verbunden. Im
Abwägungsprozess werden
zumeist die
offensichtlich zu
erwartenden
Anschaffungskosten, die
vor allem in den
Grundstückspreisen
bzw.Wohnungspreisen
liegen, als dominante
bzw. als
ausschlaggebende Maxime
herangezogen.
Die Lage des
Wohnstandortes
respektive der Immobilie
ist jedoch nicht nur
eine zentrale
Determinante des
Immobilienpreises. Sie
definiert auch im
erheblichen Maße jene
Aufwendungen, die für
Arbeits-, Versorgungs-,
Ausbildungs- oder
Freizeitwege entstehen
und die unter dem
Begriff der
Mobilitätskosten (Zeit-
und Wegekosten)
subsumiert werden
können. Schwierig
erweist sich dabei,
generelle Aussagen über
die standortabhängigen
Mobilitätskosten zu
treffen, da, je nach
Nutzer, individuelle
Anforderungsprofile an
den Standort bestehen.
Grundsätzlich kann
jedoch festgehalten
werden, dass mit der
Höhe der
Versorgungsgüte, mit der
Zentralität des
Standortes, also je
besser ein Wohnstandort
in das bestehende
Versorgungsnetz
integriert ist, auch die
Mobilitätskosten sinken.
Zentrale Lagen sind also
in der Regel mit höheren
Immobilienpreisen
verbunden, dezentrale
Lagen hingegen mit
höheren
Mobilitätskosten. Das
Verhältnis zwischen
Immobilienpreisen und
Mobilitätskosten kann
also als ein diametrales
verstanden werden.
Amortisieren sich
aber die höheren
Anschaffungskosten für
eine Immobilie in
zentraler Lage?
Unterschiedliche Studien
befassten sich bereits
mit dieser Frage.
Exemplarisch wurde etwa
für eine vierköpfige
Familie deren täglicher
Mobilitätsaufwand
berechnet. Ausgangspunkt
dafür waren zwei
Immobilien gleicher
Grundfläche, Wohnfläche,
Bausubstanz etc., in
jedoch jeweils
unterschiedlicher
Lagegunst. Deren
unterschiedliche
Immobilienpreise konnten
daher isoliert auf die
Lage zurückgeführt
werden. Grundlegende
Erkenntnis daraus war,
dass der durch die
zentralere Lage einer
Immobilie niedrigere
Wegekostenaufwand
(geringere Zeitkosten
nicht berücksichtigt)
die Mehrkosten durch die
Anschaffung einer
„teureren“ Immobilie in
zentraler Lage innerhalb
eines überschaubaren
Zeitraumes wieder
wettmacht.
Berücksichtigt man auch
den höheren Zeitaufwand,
verkürzt sich die
Amortisierungszeit
nochmals deutlich.
Umgekehrt kann sich eine
wegen ihrer peripheren
Lage auf den ersten
Blick als günstig
einzustufende Immobilie
langfristig aufgrund der
verborgenen
Mobilitätskosten als die
eigentlich teurere
Investition
herausstellen.
Viele
Standortentscheidungen
fallen jedoch zu Gunsten
einer Immobilie in
dezentraler Lage. Dies
verursacht jedoch nicht
nur verdeckte Mehrkosten
für die Nutzer. Auch für
die
Gebietskörperschaften
entstehen dadurch höhere
Kosten für den Bau und
die Erhaltung von Verund
Entsorgungseinrichtungen
wie Straßen, Kanal, oder
eben auch für den
Öffentlichen Verkehr (ÖV).
Dieser ist darüber
hinaus einer erhöhten
Nachfrage-Sensibilität
ausgesetzt. Sinkt die
Nachfrage, wird in
weiterer Folge zumeist
das Angebot reduziert
oder gar eingestellt.
Die Konzentration der
Siedlungsstruktur und
die Angebotsqualität des
ÖV stehen also in einer
wechselseitigen, sich
verstärkenden Beziehung
zueinander.
Standortsuche für den
förderbaren Wohnbau im
Nahbereich von
Bahnhaltestellen
Aufgrund der
geschilderten Gedanken
aus der Perspektive des
privaten Haushaltes
einerseits, aber auch
aufgrund der
vorherrschenden
räumlichen Entwicklung
im Salzburger
Zentralraum
andererseits, die seit
Jahrzehnten von konstant
hoher Nachfrage nach
Siedlungsflächen geprägt
ist, wurde seitens der
Abteilung 7 Raumplanung
eine Untersuchung
erstellt, um noch
potenziell
entwicklungsfähige
Wohnstandorte im
Salzburger Zentralraum
aufzuzeigen, die ein
Mindestmaß an
Versorgungsqualität
haben. Der
vorherrschende
Siedlungsdruck und die
Flächen-Inanspruchnahme
weiteten sich in den
letzten Jahrzehnten
zusehends von der Stadt
Salzburg über die
Gemeinden im Flachgau
bis hinein in den
angrenzenden Tennengauer,
oberösterreichischen und
bayrischen Raum aus.
Die Agglomeration
Salzburg als
zusammenhängendes
Funktionsgebiet
vergrößert dabei ihren
Verflechtungsraum und
verschmilzt, unabhängig
von klassischen
verwaltungstechnischen
Einheiten, zusehends mit
ihrem Umland.
Signifikante Merkmale
dieser räumlichen
Entwicklung sind die
Zersiedlung, die
räumlich-funktionale
Entflechtung bzw.
Spezialisierung auf
kleinräumiger Ebene bei
gleichzeitig zunehmenden
Verflechtungen auf
regionaler Ebene. Die
Folgen sind längere
Wege, eine rasante
Zunahme der
Zwangsmobilität sowie
ein Anstieg der Pkw- und
Lkw-Fahrleistungen.
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Eine Talent-Garnitur bei der Einfahrt in die Haltestelle Elsbethen,
im Hintergrund der Gaisberg.
Foto: Peter Weissenböck |
Bei dieser aus Sicht der
Raumplanung
problematischen
Entwicklung scheint auch
auf den Straßen, trotz
vielerorts massiver
Investitionen, ein
Kapazitätslimit erreicht
zu sein. Bei der Suche
nach leistungsfähigen
Alternativen stellt die
Schiene eine attraktive
Lösung dar. So wie im
Sachprogramm
„Standortentwicklung für
Wohnen und Arbeiten im
Salzburger Zentralraum“
(2009) regionale
Gewerbezonen mit
Bahnanschluss definiert
wurden, um den
Güterverkehr auf die
Schiene zu verlagern,
soll nunmehr auch die
Siedlungsentwicklung im
fußläufigen
Einzugsbereich von
Haltestellen
leistungsfähiger
öffentlicher
Verkehrseinrichtungen
verstärkt gefördert
werden.
Im konkreten Fall galt
es, freie Flächen für
den förderbaren Wohnbau
im Nahbereich der
Haltestellen der drei
vom Salzburger
Hauptbahnhof ausgehenden
S-Bahn- Linien S1/S11 (Lamprechtshausen
bzw. St. Georgen), S2 (Straßwalchen)
und S3 (Golling) zu
finden.
Alle drei Linien haben
bereits ansprechende
Fahrgastzahlen.
Exemplarisch ist hier
die Linie S1
(„Lokalbahn“) zu
erwähnen: Im
Einzugsgebiet ihrer
Haltestellen befindet
sich nahezu die Hälfte
(gut 47 %) der
Wohnbevölkerung jener
acht Gemeinden im
Flachgau, die durch
diese Linie erschlossen
sind. Somit besteht
bereits eine gute
Voraussetzung, um in der
Region eine Versorgung
durch den ÖV-Träger Bahn
zu gewährleisten.
Die gesuchten
Wohn-Standorte der
Studie sollten aber
nicht nur im fußläufigen
Einzugsbereich von 1.000
m zur nächsten
Bahnhaltestelle liegen,
sondern auch ein
Mindestmaß an
Versorgungs- bzw.
Wohnstandort-Qualität
aufweisen.
Die Untersuchung zeigte
dabei folgende
interessante Aspekte:
Die an der S-Bahn
gelegenen Gemeinden
waren in den letzten
beiden Jahrzehnten durch
eine besonders
dynamische
Bevölkerungszunahme und
vielfach disperse und
flächenextensive
Siedlungstätigkeit
geprägt. Der Flachgau
wies zwischen 1991 und
2001 österreichweit
absolut wie auch relativ
das stärkste
demographische Wachstum
auf; der dadurch
entstandene
Siedlungsdruck hält bis
heute an.
Ein weiterer zentraler
Aspekt, der behandelt
wurde,war, ab wann denn
eine Fläche das
Mindestmaß an
Wohnstandort-Qualität
erfüllte bzw. auch wie
der Qualitätsbegriff auf
ausgewählte räumlich
festlegbare Faktoren und
deren quantitative
Bewertung angewendet
werden kann, die
letztlich auch
grundlegende Bedürfnisse
des Menschen
widerspiegeln. Auch die
Tatsache, dass die
Untersuchung nicht im
„planungsleeren Raum“
stattfindet, war zu
berücksichtigen. Es
besteht bereits eine
Vielzahl an örtlichen
wie überörtlichen
Vorgaben und Zielen
unterschiedlicher
räumlicher Genauigkeit
und
Verbindlichkeitsstufen.
Diese waren in die
Untersuchung
entsprechend
einzuarbeiten.
Das Ergebnis, also das
Wohnbaulandpotenzial im
Einzugsbereich einer
S-Bahn-Linie, liefert
eine mehrstufige
Analysemethode. Zunächst
war der Nahbereich einer
S-Bahn-Haltestelle
abzugrenzen, indem jene
unverbauten Flächen
berücksichtigt wurden,
die von der Haltestelle
maximal 1.000 m entfernt
lagen. In der zweiten
Stufe wurden davon jene
Flächen ausgeschieden,
die entweder mit einer
Wohnbaulandnutzung nicht
vereinbar waren oder
anderwärtigen Planungen
unterlagen und somit als
sogenannte
Ausschließungsflächen zu
eliminieren waren.
Im dritten Schritt
wurden die verbliebenen
Flächen einer
Eignungsbewertung
unterzogen. Leitgedanke
dabei war, dass die
Qualität einer Fläche
durch ihre Beziehung
bzw. Nähe zu
Versorgungseinrichtungen
ermittelt werden kann.
Als
Versorgungseinrichtungen
wurden 14
unterschiedliche Ebenen
gewählt,vom ÖV-Anschluss
über den Nahversorger
bis hin zu Schulen oder
Gesundheitseinrichtungen.
Je stärker eine Fläche
in das durch diese
Einrichtungen
entstandene
Versorgungsnetz
eingebunden war, also je
näher diese Fläche zu
den Einrichtungen lag,
desto höher wurde ihre
Standort-Qualität
eingestuft. Somit sollte
auch ein „Wohnen der
kurzen Wege“ ermöglicht
werden. Überschritt eine
Fläche ein bestimmtes
Mindestmaß an
Versorgung,galt diese
als Potenzialfläche.
Nachdem so Flächen
ermittelt worden
waren,waren diese noch
auf die räumlichen
Entwicklungsziele der
Gemeinden (REK)
abzustimmen.
Hochrechnungen zeigten,
dass die ermittelten
Potenzialflächen im
Nahbereich der
Haltestellen im
Gesamtausmaß von 190 ha
– wenn verfügbar –
ausreichen würden, um
den Großteil des
Wohnbaulandbedarfs der
untersuchten
Standortgemeinden für
die nächsten 20 Jahre zu
decken.
Zum Autor |
DI Johannes Lebesmühlbacher
Studium der Raumplanung
und Raumordnung an der TU Wien, ist seit zwei Jahren freier
Mitarbeiter der Abteilung 7 Raumplanung, Land Salzburg |
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