ÖBB: Klares Bekenntnis zur starken Bahn
Ein integriertes Bahnunternehmen setzt auf seine Stärken
RS-Herausgeber
Peter Haibach im Gespräch mit
Christian Kern, Vorstandsvorsitzender der
ÖBB-Holding
RS:
Herr Kern, wie sieht
Ihre bisherige
Erfolgsbilanz aus?
Stehen Sie dort,wo Sie
nach 1 1/2 jähriger
Tätigkeit an der Spitze
des Konzern stehen
wollten?
Kern: Wir
konnten die
wirtschaftliche
Situation des
Unternehmens signifikant
verbessern, den
Personalaufwand
reduzieren und die
Produktivität steigern.
Das Ziel, 100
Führungskräfte
abzubauen, wurde mit
tatsächlich 270
übererfüllt, der
IT-Aufwand wurde
gesenkt, die
Kundenorientierung
erhöht.
RS: Wie
würden Sie Ihren Erfolg
auf einer
Prozentzahl-Skala von 0
bis 100%einschätzen?
Kern:
Schulnoten mögen andere
geben, ich sehe die ÖBB
als Zehn-Jahres Aufgabe,
wir sind noch lange
nicht am Ziel.
RS: Wo
haben Sie bisher die
größten Hürden auf dem
Weg zum Erfolg
wahrgenommen?
Kern:
Enttäuschend ist,dass
der Eindruck entstanden
ist, dass der Eigentümer
nicht geschlossen hinter
dem Unternehmen ÖBB
steht. Das macht die
Sache schwieriger.
RS:
Wird die beabsichtigte
Schuldenbremse das
Unternehmen ÖBB ins Mark
treffen?
Kern: Es
muss ein Paket geben,
das die Bahnkunden
möglichst nicht trifft;
Milliarden-Einsparungen
werden nur bei den
großen
Infrastrukturprojekten
möglich sein. Dabei sind
aber auch
volkswirtschaftliche
Aspekte zu
berücksichtigen.
Österreich hat die
erfolgreichste
Bahnzulieferindustrie
der Welt. Es ist zu
beachten, dass große
Unternehmen wie Kapsch,
Siemens, Plasser &
Theurer, VOEST, die
weltweit tätig sind, von
einem stabilen Heimmarkt
profitieren und damit
auch Arbeitsplätze
sichern.
RS: Fühlen Sie sich von
der Bahnindustrie als
Nutznießer der
Großprojekte ausreichend
unterstützt?
Kern: Ein größeres
Engagement der
Bahnindustrie für das
Unternehmen ÖBB ist
immer wünschenswert.
RS: Was halten Sie von
den Sparvorschlägen der
ÖVP, wie Kraftwerke und
Immobilien der ÖBB zu
verkaufen?
Kern: Ein
Kraftwerksverkauf wäre
ein Nullsummenspiel und
würde die ÖBB schwächen.
Die Kraftwerke bringen
den ÖBB jährlich 35
Millionen Euro
Ergebnisbeitrag, bei
einem Verkauf aber nur
einen einmaligen Erlös.
Die
Versorgungssicherheit
mit eigenem Strom würde
wegfallen, und die ÖBB
müsste teureren Strom
einkaufen. Es wäre ein
klassisches Beispiel für
eine Privatisierung der
Gewinne und eine
Sozialisierung der
Verluste.
RS: Auch die Immobilien
der ÖBB sind Objekte der
Begierde?
Kern: Wir sind einer der
größten
Immobilienverwerter
Österreichs; Verkäufe
finden ständig statt,
was jährlich auch an die
40 Millionen Euro
Ergebnisbeitrag bringt.
RS: Die ÖVP will auch
einen Aufnahmestopp bei
den ÖBB. Ist dieser
sinnvoll und machbar?
Kern: Ich halte das für
keine sehr realistische
Forderung. In einzelnen
Teilbereichen wird immer
neues Personal nötig sein,weil sich die
Anforderungen ändern und
neue Qualifikationen
gefragt sind. Wir
brauchen z. B.
Software-Techniker,
Buslenker,
Bau-Ingenieure. Die gute
Ausbildung in den
ÖBB-Lehrwerkstätten
führt dazu, dass die
exzellenten Fachkräfte
sehr gern und sehr oft
von Privatfirmen
abgeworben werden. In
meiner Ära wurde im
Übrigen der
Beschäftigtenstand um
über 2.000 Personen
reduziert.
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RS-Obmann Peter Haibach im Gespräch mit Christian Kern, Vorstandsvorsitzender
der ÖBB-Holding
Foto: Christa Schlager |
RS: Selbst die mit dem
Bund vereinbarten
Gemeinwirtschaftlichen
Leistungen (GWL) von 578
Millionen Euro für die
nicht
eigenwirtschaftlich zu
führenden Verkehre
werden in Frage
gestellt. Bekommen die
ÖBB zu viel Geld vom
Bund?
Kern: Die PSO-VO
(EU-Verordnung für
öffentliche
Personenverkehrsdienste
auf Schiene und Straße)
sieht eine Laufzeit bis
zu 15 Jahren bei
GWL-Verträgern vor, mit
zehnjähriger Laufzeit
entspricht es den
Anforderungen des
EU-Rechts. Im Vergleich
zur DB, die mit
bestellten Verkehren
eine EBIT-Marge von bis
zu 20 % erreichen,
liegen die ÖBB mit 4%
weit darunter. Von
Überdotierung keine
Rede. Im Übrigen ist der
GWL-Vertrag
streckenbezogen und kann
daher Strecke für
Strecke überprüft
werden. Eine
15-prozentige Kürzung,
die ja schon gefordert
wurde, würde zu einer
massiven
Verschlechterung des
Bahnangebotes führen.
RS: Muss der Rahmenplan
für Investitionen der
ÖBB aufgrund der
Schuldenkrise geändert
bzw. abgespeckt werden?
Kern: Wirklich große
Einsparungen wird die
Bundesregierung nur bei
den großen
Infrastrukturprojekten
erreichen. Eine
Evaluierung der
Bauprojekte wird das
Einsparungspotenzial
zeigen, dann muss die
Politik entscheiden, wo
die Prioritäten liegen.
Einfach wird dieser
Prozess nicht, denn es
gibt ja großteils
verbindliche Verträge.
RS: Wie hoch belaufen
sich die Zinsen für die
Investitionen laut
Rahmenplan? Wie viel
haben die ÖBB davon
selbst zu tragen?
Kern: Die jährlichen
Annuitäten betragen 400
Millionen Euro.
RS: Sie fordern vom
Eigentümer Bund eine
Kapitalerhöhung, die
Ihnen bisher verweigert
wurde. Ist diese nötig,
und wofür wird sie
gebraucht?
Kern: Das Problem ist,
dass die ÖBB über eine
sehr dünne
Eigenkapitaldecke
verfügen. Wie wir aus
der aktuellen
Bankendebatte wissen,
ist aber nur eine starke
Eigenkapitalquote Basis
für nachhaltiges und
profitables Wachstum.
Dafür wären die 400
Millionen Euro sinnvoll.
Wenn wir eine
zukunftsfähige Bahn
haben möchten, dann
werden wir entsprechende
Investitionen benötigen,
wie das bei anderen
Staatsbeteiligungen ja
schon geschehen ist.
RS: Herr Kern, ist Ihre
Ansage „2013 ist die ÖBB
in den schwarzen Zahlen“
realistisch, wenn die
Vorzeichen der
Bundespolitik darauf
hindeuten, dass die ÖBB
noch mehr sparen müssen?
Kern: Die Zusicherung
öffentlicher Mittel ist
schwierig geworden. Ich
bin aber guten Mutes, im
operativen Bereich
dieses Ziel zu
erreichen. Wir sind auf
einem guten Weg. Die
Verhandlungen mit den
Ländern über die
Verkehrsdienste laufen
im Großen und Ganzen
erfolgversprechend.
RS: Die Fahrgäste
fordern dringend neue
Fahrzeuge für den Nah-
und vor allem auch für
den Fernverkehr, auch
für den inneralpinen
Verkehr Graz – Linz und
Graz – Salzburg. Wann
kann man damit rechnen?
Kern: Die Anschaffung
neuer Fahrzeuge ist
tatsächlich ein Problem,
weil diese aus dem
laufenden Cash flow
nicht finanziert werden
können. Eine mögliche
Refinanzierung durch
höhere Beiträge der
Länder wird derzeit mit
Bund und den Ländern
Niederösterreich und
Wien verhandelt.
RS: Bestünde die Lösung
für den „inneralpinen
Verkehr“, Strecken wie
Salzburg – Graz und Linz
– Graz auszuschreiben
und an den Bestbieter zu
vergeben?
Kern: Wir sehen uns wie
die SBB als integrierte
Bahn, die die
Zugleistungen für die
Bahnkunden garantiert.
Im heurigen Jahr haben
wir eine akzeptable
Lösung mit den Ländern
Steiermark und Salzburg
vereinbaren können.
Derzeit arbeiten wir an
einem innovativen
Konzept, wobei auch das
von
probahn
Österreich
vorgestellte „Interregio-
Flügel-Konzept“ in die
Überlegungen einbezogen
wird.
RS: Bund und Länder sind
sich uneins, wo die
Grenze zwischen Nah- und
Fernverkehr ist. Bisher
galt die Regel, dass der
Zugverkehr zwischen den
Landeshauptstädten
jedenfalls Fernverkehr
ist und vom Bund bezahlt
wird. Bund und ÖBB
brechen diese Regel und
fordern von den Ländern
Zuschüsse ein, die diese
als „kalten
Finanzausgleich“ sehen.
Wie lässt sich dieser
Konflikt lösen?
Kern: Die beste Lösung
ist, dass der Bund ein
Grundangebot festlegt
und bezahlt, die Länder
bestellen dann die
Zusatzverkehre. Das
Denken über
Bundesländergrenzen
hinweg ist dabei
notwendig.
RS: Fahrgäste beklagen,
dass sich die ÖBB allzu
rasch von ihrem noch
guten Zugmaterial
trennen, z. B. wurden
Fernverkehrswagen Eurofima (nach
Tschechien) und die
Schlierenwagen
verscherbelt oder
verschrottet, statt sie
zu reparieren!
Kern: Das ist nicht
richtig, wir scheiden
nur jene Fahrzeuge aus
oder verkaufen sie, die
nicht den Anforderungen
für unseren Bahnbetrieb
entsprechen. Die ÖBB
verfügen, international
gesehen, über einen
guten und ausreichenden
Fuhrpark.
RS: Lässt sich schon
abschätzen, wie sich das
Auftreten des neuen
Betreibers
WESTbahn auf
den ÖBB-Personenverkehr
auswirkt?
Kern: Die Erfahrungen
der ersten Wochen
stimmen optimistisch,
der ÖBB-Personenverkehr
konnte sogar noch an
Fahrgästen zulegen.
Unsere Qualität spricht
für sich.
RS:
Viele Fahrgäste
bedauern, dass es das
ÖBB-Kursbuch nicht mehr
gibt. Auf die
Entscheidung des
Kartellgerichtes, dass
die Züge der WESTbahn im
Kursbuch aufscheinen
müssen, reagierten die
ÖBB dahingehend, gar
kein Kursbuch mehr
aufzulegen. Wäre nicht
ÖBB-Infrastruktur als
neutrale Stelle für die
Kursbuchherausgabe
zuständig?
Kern:
Das anhängige
Rechtsverfahren über die
Aufnahme von Zügen von
Konkurrenten ist noch
nicht entschieden. Das
warten wir ab. Den
Vorschlag, die
ÖBB-Infrastruktur solle
als Herausgeber des
Kursbuches fungieren,
werden wir prüfen.
RS:
Die Fahrgäste wünschen
sich eine gedeihliche
Kooperation zwischen den
ÖBB und den Privatbahnen
einschließlich der
WESTbahn, sowohl im
Güter- als auch im
Personenverkehr. Würde
dies gemäß Ihrer Aussage
„der Konkurrent ist die
Straße“ Sinn ergeben?
Wie sehen Sie das?
Kern:
Die Westbahn ist ja
nicht nur Mitbewerber,
sondern auch Kunde der
ÖBB-Infrastruktur. Dort
haben wir eine
ausgezeichnete Basis.
Ich bitte aber um
Verständnis, dass wir
uns in einem Wettbewerb
so wie jedes andere
Unternehmen auch
verhalten und nicht auf
unsere Kosten alle
Wünsche des Mitbewerbers
erfüllen können. Ob es
tatsächlich im Sinne der
Kunden ist, Bahnfahren
mit Klagen teurer machen
zu wollen, bezweifle
ich. (Anmerkung der
Redaktion: Die WESTbahn
hat die ÖBB wegen
Wettbewerbsverzerrung
durch das
„Sparschiene-Angebot“
geklagt.)
RS:
Welche Strategie
verfolgen Sie, dass die
ÖBB über ihr
Kerngeschäft „modernes
Dienstleistungsunternehmen“
mehr wahrgenommen werden
und auch konkurrenzfähig
ist? Derzeit schleppen
die ÖBB den ganzen
„Rucksack“ an Schulden,
Subventionen, Pensionen,
Börsenspekulationen mit
und haben jederzeit mit
politischen Vorgaben des
Eigentümers Bund zu
rechnen.
Kern:
Wir haben einige
Rucksäcke aus der
Vergangenheit zu tragen,
umso wichtiger ist es,
das Unternehmen heute
fit für die Zukunft zu
machen. Ein klares
Bekenntnis der gesamten
Bundesregierung zu einer
starken österreichischen
Bahn, so wie es im
Parade- Bahn-Land
Schweiz der Fall ist,
wäre wünschenswert.
Aber ich bin fest davon
überzeugt, dass der Bahn
die Zukunft gehört. Die
Bahn hat alle Chancen –
als Alternative zu Stau
und teurem Benzin, als
Antwort auf die
Klimaproblematik, als
Verkehrsmittel, das dem
Kunden Zeit zurück gibt.
Wir wollen die Chance
nutzen und in den
kommenden fünf Jahren
mehr Kunden in Züge und
Busse bringen denn je.
Alle Prognosen und
Trends bestätigen uns
darin. Europaweit wird
in den Ausbau des
Öffentlichen Verkehrs
investiert, Immer mehr
Menschen werden die Bahn
nutzen.
RS:
Herr Kern, Sie haben
sich ein zehnjähriges
Programm zur
Umstrukturierung und
Revitalisierung des
Unternehmens ÖBB
vorgenommen. Wir
wünschen Ihnen dazu
einen langen Atem.
Zur Person:
Christian Kern |

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Christian Kern, Jahrgang
1966, ist seit Juni 2010
Vorstandsvorsitzender
der ÖBB-Holding AG und
zeichnet insbesondere
für die Bereiche
Strategie,
Kommunikation, Personal
und den Güter- bzw.
Personenverkehrsbereich
verantwortlich. Davor
war Kern 13 Jahre lang
Manager im Verbund,
zuerst in den
Töchterunternehmen für
Stromvertrieb und
internationalen Handel.
Seit 2007 war er
Mitglied des Vorstands,
u. a. zuständig für das
Auslandsgeschäft. Kern
startete als
Wirtschaftsjournalist
und war bis zur Mitte
der 90er-Jahre in der
Politik tätig, im
Bundeskanzleramt und im
Parlament. |
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