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Qualitätssteigerung durch Ausschreibung
Kriterienkatalog für höhere Standards beim Schienen-Personennahverkehr
von
Michael Behringer,
RS-Redakteur
Zwei Jahrzehnte
Bahnreform in
Deutschland sind bald
vergangen, und in vielen
Bereichen war die
sogenannte
Privatisierung der
Deutschen Bundesbahn
keineswegs die erhoffte
Erfolgsstory, sondern
eher eine Stoffsammlung
für die Fernsehserie
„Pleiten, Pech und
Pannen“. Einzige
Ausnahme: Der
Schienen-Personennahverkehr
(SPNV) „boomt“ wie nie
zuvor, und statt zu
einer Stilllegungswelle
kam es zu erheblichen
Angebotsverbesserungen –
auch an den Wochenenden
und Feiertagen – und
selbst zu
Reaktivierungen von
bereits fast vergessenen
Nebenbahnen und
Bahnhöfen. Das System
funktioniert ganz
einfach: Die
Verantwortung für den
Nahverkehr wurde weg von
der Bundespolitik und
von den in der
Hauptstadt angesiedelten
Ministerien auf die
Länder übertragen. Eine
nationale Bahnbehörde
gib es seither nicht
mehr. Da der SPNV zwar
nicht einmal im
Ballungsgebiet von
Großstädten
kostendeckend betrieben
werden kann, dessen
ungeachtet
gemeinwirtschaftlich zur
Daseinsvorsorge,
speziell in ländlichen
Regionen, unverzichtbar
ist, erhalten die Länder
jährliche pauschale
Zuwendungen vom
Bundesverkehrsministerium
und müssen ihrerseits
von diesem Geld
möglichst viele und
effektive Zugverkehre
bestellen und
kofinanzieren.
Nunmehr war es den
Ländern vorbehalten, ob
sie auf die Erfahrung
schon bestehender
Verkehrsverbünde
zurückgreifen und diesen
die Aufgaben übertragen.
Vorteile hierin sah man
in der homogenen
Abstimmung der Verkehre
zwischen Bussen und
Bahnen. Um aber zu
verhindern, dass
kurzfristig
Busunternehmer
günstigere Angebote
machen und in größerem
Stil ein Kahlschlag der
Schiene droht,
entschieden sich die
meisten Länder für die
Einrichtung zentraler
Besteller-Organisationen
für den SPNV. In Bayern
wurde die Bayerische
Eisenbahngesellschaft
(BEG) gegründet, eine
privatrechtlich
aufgebaute „Firma“, also
keine Behörde mit
hoheitlichen Aufgaben,
die aber so strukturiert
ist, dass die
rechtsstaatlich
zuständigen Behörden
einen direkten Zugriff
auf die Tätigkeit der
Gesellschaft haben. So
ist der Bayerische
Verkehrsminister auch
Aufsichtsratsvorsitzender
der BEG, und die
demokratisch gewählten
Politiker haben noch ein
Weisungs- und
Kontrollrecht.
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Früherer Standard: Lokführer und Zugführerin bereiten sich für die nächste Fahrt vor.
Foto: Michael Behringer |
Neue Fahrzeugflotten durch „Private“
Die
„Liberalisierung“ des
Schienenverkehrs führte
zu umfangreichen
europaweiten
Ausschreibungen der
Nahverkehrs-Dienstleistungen,
und nun konnten sich die
mittlerweile ca. 350 in
Deutschland zugelassenen
Eisenbahnverkehrsunternehmen
(EVU) bewerben. Damit
war automatisch ein
Quantensprung in Sachen
Fahrzeugqualität
verbunden. Lediglich die
ehemalige Staatsbahn
konnte auf
Fahrzeugreserven
zurückgreifen. Die neuen
„Privaten“ mussten sich
mit neuen Fahrzeugen
bewerben, die von der
Schienenfahrzeugindustrie
erst gebaut werden
mussten. Dadurch war
automatisch der
Mitbewerber mit neuen,
komfortablen, modernen
Produkten im Vorteil,
und die DB konnte nicht
erwarten, mit ihren
alten, nicht
klimatisierten und zum
Teil schon recht
„abgefahrenen“ Waggons
den Zuschlag zu
erhalten. Also
investierte man landauf,
landab in neue
Fahrzeuge. Baureihen wie
„Regio Shuttle“ oder „Desiro“
auf dem Dieselsektor und
„Corradia Continental“,
„FLIRT“ oder „Talent 2“
als elektrische
Triebwagen sind nur
einige Beispiele für
moderne, energiesparende
und kundenfreundliche
Produkte. Innerhalb
weniger Jahre kam es so
automatisch zu einer
„Flottenerneuerung“ auf
der Schiene.
Größtenteils werden in
Ausschreibungen auch
Neufahrzeuge
vorgeschrieben, um
diesen positiven Trend
kontinuierlich
fortzusetzen.
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Neue Fahrzeuge auch auf dem Lande: Regio Shuttle von ADTranz im Südschwarzwald.
Foto: Michael Behringer |
Mehr Service-Personal statt Automaten
Die hohen
Investitionskosten
müssen aber vom
jeweiligen EVU
kompensiert werden. Also
begann eine unsoziale
Phase des
„Lohndumpings“, dies
führte mit einer Reihe
von Personal -
einsparungs-Maßnahmen im
Servicebereich zu
eklatanten
Verschlechterungen des
Angebots insgesamt.
Durch technische
Einrichtungen konnte auf
den Zugbegleiter
vollständig verzichtet
werden. Der Lok- oder
Triebfahrzeugführer kann
vom Führerstand aus das
Öffnen und Schließen der
Türen vornehmen, die
Bewegungen auf dem
Bahnsteig durch Spiegel
oder Videokameras
überwachen und sich
selbst den
„Abfahr-Auftrag“ geben.
Seitdem fuhren die
Talente und Shuttles wie
Geisterzüge durch die
Gegend. Die
Gewerkschaften
erreichten nach Streiks
und monatelangen zähen
Verhandlungen zumindest
eine weitgehende
Annäherung des
Lohnniveaus der
einzelnen
nicht-bundeseigenen
Bahnen an das der DB-AG.
Das „schaffnerlose“
Fahren konnte aber nur
rückgängig gemacht
werden durch konkrete
Festlegungen in neuen
Ausschreibungen. Die
erste bayerische Bahn,
die komplett mit
Zugbegleitern und
ausschließlichem
Fahrkartenverkauf im Zug
unterwegs ist, ist die „BerchtesgadenerLandBahn“.
Dieser Fortschritt war
aber nicht
ausschließlich auf den
Gesinnungswandel
sozialromantischer
Gutmenschen
zurückzuführen, sondern
auch dem Umstand, dass
auf der Steilstrecke im
Bereich Bad
Reichenhall-Kirchberg-Hallthurm
ohnehin eine zweite
Person im Zug mitfahren
muss, und zwar aus
Sicherheitsgründen auf
dem Führerstand. Man
konnte also es
finanziell arrangieren,
dass dieser zweite
Eisenbahner auf der
Gesamtstrecke im Zug
bleibt und den
Kundenservice inklusive
Fahrkartenverkauf und
Einstieghilfe für
Behinderte übernimmt.
Dieses „Best
Practice“-Beispiel war
von einem so
durchschlagenden Erfolg
gekrönt, dass die BEG
auch in weiteren
Ausschreibungen den
Zugbegleiter fordert,
und so kehrt der gute
alte Schaffner wieder in
die Züge zurück.
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Die Bestellerorganisationen fordern in Ausschreibungen grund -
sätzlich Neufahrzeuge wie z. B. Baureihe 427 (FLIRT) der BerchtesgadenerLandBahn.
Foto: Michael Behringer |
Kundenfreundliche Einrichtungen werden festgeschrieben
Um weitere dem
Fahrgast nützliche
Standards während der im
Schnitt zwölf Jahre
dauernden
Vertragslaufzeit nicht
wegrationalisieren zu
lassen, legen die
Besteller-Organisationen
auch den
behindertengerechten
Zugang und die Zahl der
Rollstuhlplätze sowie
das Vorhandensein und
die Bedienung von
Einstiegshilfen (Rampen,
Hublifte) ebenso fest
wie die Zahl der –
wiederum
behindertengerecht
ausgestalteten –
Toiletten. Es besteht
nämlich keine
gesetzliche
Verpflichtung, in Zügen
Toiletten vorzuhalten.
So fahren im Großraum
München oder Stuttgart,
anders als z. B. In
Hannover, die
S-Bahn-Züge ohne WC.
Solche sind auch in
Ballungsgebieten nur in
großen Stationen und oft
nur unter kommunaler
Regie oder finanzieller
Beteiligung der Städte
und Gemeinden vorhanden.
Optische und akustische
Fahrgast-Informationssysteme
sind ebenso
Ausschreibungsthemen wie
Stellplätze für
Fahrräder, Kinderwagen
und Traglasten.
Eigenwirtschaftlich
stemmen sich manche EVU
gegen solche Vorgaben,
verringern sie doch die
Zahl der möglichen
Sitzplätze und erfordern
manchmal den Einsatz
größerer Fahrzeugtypen,
als für die geforderte
Sitzplatz-Zahl
eigentlich notwendig.
Pünktlichkeit und
Kundenservice werden
regelmäßig überprüft und
bewertet. Verstöße gegen
die Zielvorgaben werden
mit Malus-Zahlungen
geahndet. Diese Gelder
werden dann andernorts
wieder für
kundenfreundliche
Innovationen eingesetzt.
Wer mehr leistet als
vertraglich festgelegt,
wird auch finanziell
belohnt. Die
Veröffentlichung des
Qualitäts-Ranking ist
eine zusätzliche Werbung
für das jeweilige EVU.
Kommen dann noch
Vereinbarungen hinzu,
wie das Einrichten von
Kundenzentren mit
großzügigen
Öffnungszeiten, so
können die Fahrgäste
Informationen persönlich
und nicht nur vom
Automaten oder über ein
Call-Center erhalten.
Bahnfahren wird durch
Ausschreibungen also
nicht nur attraktiver,
sondern auch
menschlicher, und somit
ist die Privatisierung
des SPNV bundesweit in
Deutschland zur
Erfolgsstory geworden,
und die anderen
Schienenverkehrssparten
täten gut daran, sich
daran zu orientieren,
zum Nutzen der
Fahrgäste, zur
Entlastung der Straßen
und für unsere Umwelt.
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