"Können es die Privaten
wirklich besser?"
Geschimpft wird viel
wenn es um den
Öffentlichen Verkehr
geht. Besonders große
Betreiber stehen im
Blitzlicht der Kritik.
Dieser Frage gehen wir
im „RS-Thema“ nach.
Eines ist klar: Die
Privaten haben ihr Ohr
näher am Kunden. Sie
sind besser mit den
örtlichen
Notwendigkeiten betraut,
sie identifizieren sich
besser mit ihrer Bahn –
und dem Gebiet, in dem
ihre Bahn fährt. Die
Nähe zum Kunden, die
Verbundenheit mit der
Bevölkerung, das Kennen
der örtlichen
Gegebenheiten – und vor
allem: Rasche
Entscheidungen vor Ort
und nicht in einer
Konzernzentrale…. Das
scheint das Geheimnis
der „Privaten“ zu sein,
oder von jenen
Betreibern, die ihre
Manager vor Ort situiert
haben…
Das
RS-Thema
mit Beiträgen von
Trevor
Garrod, Hans Leister,
Kerstin Heinemann, Heino
Seeger, Jörgen Boße,
Arnulf Schuchmann
und
Michael Behringer
England als Pionier der Schienen-Liberalisierung
Licht und Schatten der Privatisierung
von
Trevor Garrod
Seit mehr als 15 Jahren
betreiben Privatfirmen
Züge in Großbritannien.
Das Netz wurde auch in
den Neunziger-Jahren
privatisiert, ist aber
jetzt unter die
Kontrolle einer neuen
Firma Network Rail
geraten, die im Eigentum
der Regierung ist.
Was hat diese
Privatisierung für den
Fahrgast bedeutet? Was
ist besser geworden? Ist
etwas schlimmer
geworden? Kann der
Wähler und Steuerzahler
beeinflussen,was
passiert? Welche Rolle
gibt es für freiwillige
Vereine und
Bürgerinitiativen, die
die Fahrgastinteressen
vertreten? Können die
Privatbetreiber machen,
was sie wollen? Wie
würde es heute aussehen,
wenn die Bahn in den
Neunziger-Jahren nicht
privatisiert worden
wäre?
Zunächst muss man sagen,
dass das Angebot der
britischen Bahn Anfang
der Neunziger-Jahre
besser war. Es fuhren
viele neue Züge,
Bahnhöfe und gewisse
Strecken waren
wiedereröffnet worden,
und ein etwas größerer
Teil des Netzes war
elektrifiziert. Dazu
hatte die sogenannte
Sektorisierung Anfang
der Achtziger-Jahre
beigetragen, sowie die
Interessen der
Verkehrsverbünde und
Grafschaftsräte, welche
die öffentlichen
Verkehrsmittel
förderten.
Leser dieser Zeitschrift
wissen, dass der Zug
gegen das Auto, das
Flugzeug und den Bus
konkurriert.Vor zwei
Jahrzehnten bestand die
konservative Regierung
aber darauf, dass auch
die Züge einander
konkurrenzieren sollten.
Manchmal ist das relativ
leicht, wenn es zum
Beispiel zwei Strecken
gibt, die im neunzehnten
Jahrhundert von
konkurrierenden Bahnen
gebaut wurden,
beispielsweise zwischen
London und Birmingham,
London und Southend oder
Glasgow und Edinburgh.
So ist es auch in
gewissen Fällen
passiert. Von London
nach Birmingham hat man
einerseits die Wahl
zwischen Virgins
Intercity-Zügen und
London Midlands
Regionalzügen, die über
Rugby fahren, und
andererseits Chiltern
Trains, die über Banbury
verkehren und übrigens
der Deutschen Bahn
gehören. Bei Chiltern
sind die Züge wohl nicht
ganz so schnell wie die
Intercity-Züge, aber man
zahlt ein bisschen
weniger.
|
Glasgow Central
Foto:
railwatch.org.uk |
Die Einwohner der
Großstädte Leicester und
Nottingham haben
hingegen keine Wahl. Sie
haben nur eine
Eisenbahnstrecke nach
London; die andere wurde
in den Sechziger-Jahren
abgerissen. Ein
Zugbetreiber, East
Midland Trains, übt hier
ein Monopol aus.
Zunächst gab es im
ganzen Land 25
Zugbetreiber (Train
Operating Companies oder
TOCs). Die Regierung gab
ihnen einen Auftrag,
Züge auf bestimmten
Strecken zu betreiben.
Das Ergebnis war oft ein
besseres Angebot, aber
keine neuen Bahnhöfe
oder Strecken.
Heutzutage gibt es aber
mehr Ermutigung für die
potenziellen Betreiber,
etwas Neues anzubieten.
Das war ein Grund, warum
auf der Strecke nach der
Stadt Corby seit
Frühjahr 2009 wieder
Personenzüge verkehren.
Alle Interessengruppen –
seien es gewählte
Politiker,
Handelskammer,
Gewerkschaften,
Fahrgastverbände –
können dem
Verkehrsminister sagen,
welches Angebot sie
wollen, wenn die
Richtlinien für eine
neue Ausschreibung
vorbereitet werden. Das
geschieht im Augenblick
in Ost-England,wo ein
neuer Zugbetreiber ab
April 2011 gesucht wird.
Ein Nachteil des zu
Beginn der
Neunziger-Jahre
eingeführten Systems
war, dass es
langfristige Pläne nicht
förderte. Eine
Ausschreibung erfolgte
damals typischerweise
für sieben Jahre. Jetzt
werden Ausschreibungen
für zehn Jahre oder
mehr, sogar bis zu 22
Jahre angeboten. Dann
hat der Betreiber mehr
Ansporn, zu investieren
und mit Network Rail
bezüglich einer besseren
Infrastruktur zu
verhandeln.
Was geschieht aber, wenn
ein Betreiber sein
Versprechen nicht
erfüllt? Die Konzession
kann ihm entzogen
werden, und die Züge
werden wieder vom Staat
betrieben. Das ist
zweimal geschehen – in
Südost- England und für
die Ostküstenbahn von
London nach Edinburgh.
Der Begriff „Open
Access“ (offener
Zutritt), der jetzt für
die gesamte Europäische
Union gilt, hat auch zu
gewissen Verbesserungen
geführt. Städte wie Hull,
Sunderland und Wrexham
haben jetzt direkte Züge
nach London, weil drei
neue Betreiber dieses
kommerzielle Risiko auf
sich nehmen.
Was passiert aber,wenn
man seinen „Hull
Trains“- Zug von London
versäumt, weil etwa die
geschäftlichen
Unterredungen in London
länger als vorgesehen
gedauert haben? Ist die
Fahrkarte in den Zügen
anderer Betreiber
gültig? Ja, aber man
muss dafür einen
Zuschlag zahlen, wenn
die Karte nur für einen
Zug des Betreibers Hull
Trains gelöst worden
ist.
Zwischen London und
Ipswich in Ostengland
gab es sieben Jahre lang
zwei konkurrierende
Betreiber. Das brachte
Vorteile, da die Züge
häufiger denn je fuhren.
Die Tarife waren aber
mit 15 Fahrschein-Sorten
dermaßen kompliziert,
dass sich daraus
Probleme für das
Personal sowie für
manche Fahrgäste
ergaben.
Es kann sehr teuer sein,
mit der Bahn in
Großbritannien zu
fahren. Das gilt
besonders für Kunden,
die nur zu einer
bestimmten Zeit reisen
und nicht sehr weit im
Voraus buchen
können.Wenn der Kunde
aber die Zeit hat, sich
am Telefon oder online
zu erkundigen, und über
die Flexibilität
verfügt, außerhalb der
Hauptverkehrszeiten zu
reisen, dann kann er
eventuell ein sehr
attraktives Preisangebot
erhalten.
Preisunterschiede gab es
in der Zeit der
ehemaligen Staatsbahn
auch; aber seit der
Privatisierung sind
diese größer geworden.
Natürlich gibt es Gründe
dafür, aber die
Zugbetreiber dürfen
nicht vergessen, dass
der Preis einer
Autofahrt zwischen zwei
Städten derselbe ist, ob
man nun in der
Hauptverkehrszeit fährt
oder nicht. Die von der
Regierung finanzierte
Institution „Passenger
Focus“ organisiert
zweimal pro Jahr eine
Umfrage, und diese zeigt
eine allmählich
steigende Zufriedenheit
seitens der Fahrgäste.
Das ist gut.Was man aber
auch erforschen sollte,
das sind die Meinungen
der Leute, die nicht mit
der Bahn fahren:Warum
benützen sie stattdessen
den Wagen oder den Bus
oder sogar das Flugzeug?
|
Stratford high-speed station
Foto:
railwatch.org.uk |
Im Jahr 2007 wurden mehr
Reisen mit der Bahn in
Großbritannien
unternommen als in jedem
Jahr seit 1959 – und
damals war das Netz um
50 % größer.War das eine
Folge der
Privatisierung?
Gewissermaßen könnte man
das sagen, aber die
Briten machen überhaupt
mehr Reisen als im Jahre
1959; und man muss sich
auch fragen:Wäre die
Zahl der Reisen auch
größer geworden, wenn
die Bahn doch im Besitz
des Staates geblieben
wäre?
Vor zwei Jahrzehnten
hatten wir auch Angst,
dass es bei Privatbahnen
schwerer sein würde,
sich über Fahrpläne zu
erkundigen. Zum Teil war
es auch so. Ein TOC von
London nach Southend
erteilt zum Beispiel
keine Auskünfte über die
Züge seines Rivalen.
Ein nationales amtliches
Kursbuch haben wir nicht
mehr; und es wäre
manchmal leichter und
schneller, darin zu
blättern, als durch eine
Webseite zu surfen. Zwei
private Verlage haben
aber jetzt die Erlaubnis
erhalten, das Kursbuch
zu drucken.
Das bringt uns zu einem
wichtigen Punkt: Dem
Durchschnittsfahrgast
ist es egal, ob sein Zug
von Veolia oder Virgin,
von First Group oder
National Express
betrieben ist.Was für
ihn wichtig ist: „Ein
Zug ist ein Zug“.
Wenn er unterwegs
umsteigen muss,
interessiert es ihn
nicht, ob der erste Zug
von Virgin und der
zweite von Arriva sei.
Das Wichtige ist, dass
er eine zuverlässige
Reisekette hat und dass
die Anschlüsse optimal
sind.
Deshalb kann man zum
Schluss bestätigen: Die
britische Erfahrung seit
1994 ist nicht so
schlimm, wie einige von
uns gefürchtet haben. Es
gibt aber Probleme, die
durch Engagement aller
Interessierten gelöst
werden müssen.
Regelungen muss es
geben. Eine
Ausschreibung ist keine
Genehmigung, Geld zu
drucken. Private
Betreiber können aber
unter den richtigen
Bedingungen eine Rolle
in einem Bahnangebot
spielen.
|
Melton Mowbray, Leicestershire
Foto:
railwatch.org.uk |
Das Geheimnis der „Privaten“
Seit über zehn Jahren Wettbewerb in Deutschland
von
Hans Leister
In Deutschland gibt es seit 1994 Zugang von Nicht-DB-Bahnen zu
den Bundesschienenwegen, seit 1996 werden die Zuschuss-Zahlungen
für den Nahverkehr nicht mehr pauschal vom Bund an
die DB AG ausbezahlt, sondern als „Regionalisierungsmittel“ den
Bundesländern mit einer sehr „weichen“ Zweckbindung für
Schienennahverkehr zur Verfügung gestellt. Seither haben die
„Privaten“ im Wettbewerb mit der DB knapp 20 % Marktanteil
an den Zugkilometern erobert. Trotzdem fährt die DB noch praktisch
die gleiche Leistung wie 1996: Die Einsparungen durch
Wettbewerb und die enorm gestiegenen Fahrgastzahlen haben
beachtliche Mehrbestellungen ausgelöst. Die Wettbewerber der
DB waren anfangs vor allem im Nebenbahnverkehr zu finden; in
den letzten Jahren übernehmen sie zunehmend auch anspruchsvollen
Hauptbahnverkehr, so zwischen Prag und München oder
zwischen Hamm (Westfalen) und Venlo in den Niederlanden.
Was ist das Geheimnis
der „Privaten“? Anfangs
waren es vor allem die
Konzentration auf die
jeweiligen kleinen Netze
und die Kundennähe, wie
man sie in Österreich
z.B. von der Salzburger
Lokalbahn kennt.
Effiziente Strukturen
und maßgeschneiderte
Fahrzeugkonzepte, die
auf die jeweils
geforderten
Sitzplatzzahlen
optimiert sind, haben im
Wettbewerb oft den
„Privaten“ den Vorsprung
verschafft, um die DB im
Ausschreibungsverfahren
zu schlagen. Effiziente
Strukturen bei der
Fahrzeuginstandhaltung
in neu gebauten
Werkstätten mit geringer
Standzeit der Fahrzeuge
für
Instandhaltungszwecke
waren ein weiterer
Hebel.
Die DB war nicht
untätig. Bereits im Jahr
2000 wurde mit Ulrich
Homburg ein ehemaliger
Privatbahn-Manager Chef
von DB Regio und brachte
seine Mannschaft und
damit auch die
Erfolgsrezepte mit.
Inzwischen gelingt es
der DB wieder, rund 80 %
der Ausschreibungen zu
gewinnen. Allerdings
verdient sie mit in
Ausschreibungen
gewonnenen Projekten
offenbar kein Geld,
jedenfalls hatte 2007
eine Rückstellung für
drohende Verluste in
dreistelliger
Millionenhöhe für diese
Projekte gebildet werden
müssen. DB Regio
verdient trotzdem Geld:
Aus den Altverträgen,
die ohne Wettbewerb
entstanden waren, hat
die DB hohe Gewinne, die
wegen der vermuteten
„Überzahlung“ sogar
Gegenstand von
Vertragsverletzungsverfahrens
der EU gegen Deutschland
sind. Nach wie vor trägt
die DB Regio so den
größten Anteil zum
Gewinn der DB AG
bei,weit vor Logistik
und Fernverkehr.
Wettbewerb und
Regionalisierung sind in
Deutschland insgesamt
eine Erfolgsgeschichte
für den Schienenverkehr.
Alle der rund 30
Besteller-Organisationen
in den 16 Bundesländern
setzen inzwischen auf
Wettbewerb, um mehr
Schienenverkehr fürs
Geld zu bekommen. Wer es
besser macht, DB oder
andere, ist dabei immer
öfter zweitrangig:
Hauptsache, das beste
Konzept kommt zum Zug!
Beim Sparen übertrieben
hatte offenbar nur die
DB: Die S-Bahn Berlin
macht seit einem Jahr
Dauer-Schlagzeilen
aufgrund offenbar
gewordener
Instandhaltungsmängel,
die sogar zur
weitgehenden
Betriebseinstellung
führten.
Trotz allen Wettbewerbs
gibt es aber nach wie
vor eine enge
Zusammenarbeit der
Bahnen. Beim Tarifsystem
und im Verhältnis zu den
Kunden sowieso, aber
auch im täglichen
Betrieb,wenn es einmal
notwendig ist.Wirklich
privat sind die
deutschen „Privaten“ oft
ebenso wenig wie die
Privatbahnen in der
Schweiz oder die
Salzburger Lokalbahn:
Neben kommunalen und
Landesbahnen sind im
Schienen-Personennahverkehr
auch ausländische
Staatsbahnen unterwegs.
eurobahn punktet
mit modernen Fahrzeugen
– seit zehn Jahren
erfolgreich im
Regionalverkehr
unterwegs
Am 28. Mai 2000 war die
Betriebsaufnahme der
eurobahn mit damals
fabrikneuen dreiteiligen
Talent-Dieseltriebwagen
eines der beiden ersten
Wettbewerbsprojekte in
Westfalen. Damit schufen
sich die Aufgabenträger
dieser Region, heute in
der Organisation
„Nahverkehr
Westfalen-Lippe“ (NWL)
vereinigt, ortsansässige
Wettbewerbsunternehmen
als Basis für die
weiteren
Ausschreibungen. Heute
sind fast alle Linien
mindestens einmal
ausgeschrieben gewesen;
in Bielefeld Hbf treffen
einander die Züge von
vier im Nahverkehr
tätigen Unternehmen
sowie die ICEund IC-Züge
und schaffen beste
Anschlüsse. Hier wird
beispielhaft deutlich,
dass Wettbewerb und
Erhaltung eines
einheitlichen
Bahnsystems für den
Kunden sehr wohl
zusammengehen.
|
Regionalzug der Eurobahn in Düsseldorf Hbf.
Foto: J. Grosch |
Zurück zur eurobahn: Auf
den Strecken von
Bielefeld nach Rahden
und von Bielefeld nach
Lemgo, die seit vielen
Jahren lustlos von der
Staatsbahn betrieben
worden waren, setzte mit
dem Einsatz moderner
Fahrzeuge im Stundentakt
eine Entwicklung ein,
die bis heute eine
Vervielfachung der
Fahrgastzahlen gebracht
hat. Eine
Streckenstilllegung ist
kein Thema mehr, dafür
sind als neue Probleme
Fahrzeugmangel und
ungenügende
Infrastruktur mit zu
kurzen Bahnsteigen
aufgetreten.
Schon kurz nach dem
Start der eurobahn hatte
sich die Mannschaft in
Bielefeld entschlossen,
einen
eigenwirtschaftlichen
Fernverkehr mit freien
Fahrzeugkapazitäten von
Freitag Mittag bis
Sonntag von Bielefeld
nach Köln anzubieten.
Doch gegen ICE
einerseits und
preiswerten Nahverkehr
andererseits war man
nicht konkurrenzfähig;
so wurde das Experiment
nach wenigen Wochen
wieder beendet.
Mit der Übernahme der
Weser- und Lammetalbahn
in Niedersachsen und
Westfalen kam erst 2004
der nächste Schritt für
die eurobahn. Die
Werkstatt in Bielefeld
wurde erweitert, dabei
erstmals ohne Gruben im
Gleis, sondern mit
Hebebock-Anlagen zur
Fahrzeuginstandhaltung.
Diese Linien waren ein
weiterer Erfolg, was die
Gewinnung neuer
Fahrgäste und eine
wesentliche Verbesserung
des Service angeht.
Leider hatten sich die
wirtschaftlichen
Erwartungen nicht
erfüllt,
Kalkulationsfehler
machten diese Linien zum
finanziellen Sorgenkind.
|
Privatbahnen: Ausfahrt frei im deutschen Netz.
Quelle: Keolis |
Erst 2006 war der
eurobahn dann in einer
Ausschreibung ein
wirklich großer Erfolg
beschieden: Die
Ausschreibung Hellweg-
Netz wurde gewonnen: Es
handelte sich damals um
das größte
ausgeschriebene Netz
überhaupt mit 5,5
Millionen Zugkilometern
im Jahr, und zwar
elektrischer
Hauptstreckenbetrieb mit
160 km/h. Der Betrieb
wurde Ende 2008 mit 25
neuen FLIRT-Triebwagen
aufgenommen und läuft
seither zur vollen
Zufriedenheit der Kunden
und der Auftraggeber.
Mit dem Maas-
Rhein-Lippe-Netz konnten
weitere 3,3 Millionen
Zugkilometer mit den
beiden Linien RE3 und
RE13 von Hamm nach
Düsseldorf und nach
Venlo (Niederlande)
unter Vertrag genommen
werden.
2007 kam die
Umorganisation des
Unternehmens, das bisher
unter Rhenus-Keolis
firmierte, durch
Trennung der beiden
Partner Rhenus und
Keolis. Die eurobahn
wird seither nur von
Keolis betrieben. Heute
werden 43 elektrische
Triebwagen und 18
Dieseltriebwagen
eingesetzt; eine neue
Werkstatt in Hamm für
die elektrischen
Fahrzeuge wurde 2009
fertiggestellt.
Die Inbetriebnahme der
RE3 und RE13 verlief
allerdings nicht gerade
reibungslos: Ein Teil
der zusätzlichen
Fahrzeuge vom Typ FLIRT
wurde nicht rechtzeitig
zugelassen, was erst
wenige Tage vor
Betriebsaufnahme vom
Hersteller mitgeteilt
wurde. Damit musste ein
Teil der Züge in den
ersten Tagen ausfallen,
danach konnte mit
eigenen Kräften und mit
Hilfe der DB ein
Ersatzverkehr angeboten
werden. Im Februar und
März konnte auch die DB
nicht mehr helfen, weil
ihre Fahrzeuge durch
Fristablauf nicht mehr
zur Verfügung standen.
Ein Sammelsurium von
älteren Reisezugwagen
und gemietete Loks
stellten auf der RE13
den Verkehr sicher, bis
am 15. März alle neuen
Fahrzeuge zugelassen
waren und eingesetzt
werden konnten.
Das eurobahn Netz 2009 von Keolis Deutschland |
|
Die Renaissance
des Nahverkehrs
auf der Schiene
Eine Zwischenbilanz der Landesnahverkehrsgesellschaft Niedersachsen (LNVG)
von
Kerstin Heinemann
|
Gunter Weidanz, Leinetal Salzderhelden. Some rights reserved.
Quelle: www.galerie4me.de |
Der Nahverkehr
in Deutschland vor der
Bahnreform 1996
Der Nahverkehr auf der
Schiene, heute das
Rückgrat des
Öffentlichen
Verkehrs,war vor der
Bahnreform das Stiefkind
der Verkehrspolitik. Mit
der Vollmotorisierung
hatte sich der
Marktanteil der Bahn im
Personenverkehr von 36 %
(1950) auf 6% (1990)
verringert. Der Bund
stellte der damaligen
Deutschen Bundesbahn
(DB) erhebliche Gelder
zur Verfügung, und die
DB bestimmte selbst,
welche Leistungen sie
erbringen wollte. Trotz
der Bundeszuschüsse nahm
ihre Verschuldung von
Jahr zu Jahr zu. Auf die
stetig fallenden Erlöse
aus Fahrkartenverkäufen
und steigenden Defizite
reagierte die DB mit
einer Ausdünnung des
Fahrplan-Angebotes und
Streckenstilllegungen.
Diese Abwärtsspirale
ging besonders zu Lasten
der Schiene außerhalb
der
Ballungsräume.Verschlissene
Infrastruktur, veraltete
Fahrzeuge und wenige
Fahrgäste bestimmten das
Bild.
Der
niedersächsische
Nahverkehr heute
Anders als im
kostendeckend zu
betreibenden Fernverkehr
können im Nahverkehr die
Eisenbahnunternehmen
ihre Betriebskosten im
Durchschnitt nur zu rund
40 Prozent aus
Fahrkarteneinnahmen
decken. Daher zahlt die
Landesnahverkehrsgesellschaft
Niedersachsen (LNVG),
eine im Zuge der
Bahnreform 1996
gegründete Gesellschaft
des Landes
Niedersachsen, den
Unternehmen Zuschüsse.
Diese werden heute nicht
mehr als pauschale
Transferzahlungen
geleistet – vielmehr
entscheidet die LNVG,
welche
Nahverkehrsleistungen
erbracht werden sollen.
Sie erstellt die
Fahrpläne, stimmt diese
mit den beteiligten
Kommunen ab und
beauftragt die
verschiedenen
Eisenbahnunternehmen mit
der Durchführung der
Verkehre. Die LNVG
vergibt außerdem für
ganz Niedersachsen
Fördermittel für diverse
Nahverkehrs-Projekte,
wie z. B. für den Ausbau
von Strecken und
Bahnstationen oder für
„Park & Ride“-Anlagen.
Die für diese Aufgaben
benötigten Gelder
bekommt die LNVG vom
Bund unter anderem aus
den
Mineralölsteuereinnahmen.
Die
Wettbewerbsverfahren der
LNVG und deren Erfolge
Die LNVG hat
frühzeitig begonnen, die
Verkehrsleistungen nicht
mehr direkt an die
Deutsche Bahn zu
vergeben, sondern
Wettbewerbe mit mehreren
Verkehrsunternehmen
durchzuführen. Denn wenn
sich die Unternehmen dem
Wettbewerb stellen,
steigt die
Kosteneffizienz und
-transparenz. Die
Qualität des
Verkehrsangebots steigt,
und der Zuschussbedarf
sinkt. Die Erfahrungen
der LNVG haben gezeigt,
dass sich durch
Wettbewerb bis zu ein
Drittel des Zuschusses
einsparen lässt.
Die erste Ausschreibung
führte die LNVG im Jahre
1998 für das so genannte
Weser-Ems-Netz mit den
drei Strecken
Wilhelmshaven –
Oldenburg – Osnabrück,
Wilhelmshaven – Esens
und (Bremen-)
Delmenhorst – Vechta –
Osnabrück durch. Zum
damaligen Zeitpunkt
hatte die Deutsche Bahn
AG die Kapazitäten aller
relevanten
Fahrzeughersteller mit
Großaufträgen
ausgelastet. Die
Ausgangsbedingungen zur
Beschaffung neuer
Fahrzeuge waren somit
zwischen der DB AG und
ihren potenziellen
Wettbewerbern extrem
unterschiedlich. Um
gleiche Startbedingungen
für alle potenziellen
Betreiber zu schaffen
und – unter
Berücksichtigung der
Produktionszeiten für
Schienenfahrzeuge –
schon vor der
Entscheidung über den
künftigen Betreiber die
Fahrzeuge bestellen zu
können, entschloss sich
die LNVG, einen
Fahrzeugpool zu bilden
und selbst Eigentümerin
der Fahrzeuge zu werden.
Die Entscheidung wurde
auch wesentlich dadurch
begünstigt, dass private
Fahrzeugpools, aus denen
der spätere Betreiber
Fahrzeuge hätte anmieten
können, zum damaligen
Zeitpunkt weder
finanziell
konkurrenzfähig noch am
Markt etabliert waren.
Die NordWestBahn (NWB)
als Gewinnerin dieser
ersten Ausschreibung
ging im Jahr 2000 mit
den neuen Fahrzeugen und
einem verbesserten
Fahrplanangebot an den
Start. Innerhalb kurzer
Zeit war das neue
Angebot so beliebt bei
den Fahrgästen, dass
weitere Fahrzeuge
angeschafft werden
mussten, um den Ansturm
zu bewältigen. Da mehr
Menschen mit dem Zug
fuhren, stiegen die
Einnahmen aus den
Fahrkartenverkäufen. Von
diesem Geld konnte die
LNVG unter anderem die
zusätzlichen Züge sowie
die
Bahnhofsmodernisierungen
bezahlen. Diese
Qualitätsverbesserungen
bewegten wiederum mehr
Menschen, mit dem Zug zu
fahren – der Beginn
einer Aufwärtsspirale.
Heute sind weit mehr als
dreimal so viele
Menschen in diesem Netz
mit dem Zug unterwegs
wie noch vor zehn
Jahren.
Ähnliche Entwicklungen
haben sich seither
überall dort gezeigt, wo
die LNVG die Verkehre im
Wettbewerb vergeben hat,
so zum Beispiel auch auf
der seit 2003 von
Metronom befahrenen
Strecke Bremen – Hamburg
– Uelzen – Hannover –
Göttingen. Dort gingen
erstmalig
aufkommensstarke
Verkehre mit Einsatz von
Doppelstockwagen auf
Hauptstrecken an eine
Privatbahn. Die
Personenkilometer
stiegen innerhalb von
zwei Jahren um mehr als
50 Prozent.
Auch in den folgenden
Ausschreibungen setzten
sich nicht-bundeseigene
Eisenbahnen im
Wettbewerb durch:
• Bünde – Rinteln –
Hameln – Hildesheim –
Bodenburg (sogenannte
Weser-/ Lammetalbahn;
2003): eurobahn
• Uelzen – Hannover –
Göttingen (2005):
metronom
• Cuxhaven – Hamburg
(2007): metronom
• Teilnetz „Hamburg Süd“
(Metropol-Linien Hamburg
– Lüneburg und Hamburg –
Tostedt; 2007): metronom
• Regio-S-Bahn
Bremen/Niedersachsen
(Nordenham – Bremen,
Bremerhaven – Bremen –
Twistringen, Bremen –
Verden, Bad
Zwischenahn/Oldenburg –
Bremen; 2010/11):
NordWestBahn
Dabei hat die LNVG die
Erfahrung gemacht, dass
sich Wettbewerb auch in
solchen Teilnetzen
lohnt, die auf den
ersten Blick als
unwirtschaftlich
erscheinen, wenn es
gelingt, geringe Erlöse
mit niedrigen
Betriebskosten
auszugleichen und
zusätzlich durch ein
attraktives Angebot auch
die Potenziale in
solchen Netzen möglichst
optimal auszuschöpfen.
Die Renaissance
der Eisenbahn in
Niedersachsen – ein
Überblick •Weit
über zwei Milliarden
Euro Investitionen in
den Öffentlichen
Nahverkehr auf Schiene
und Straße seit 1996
• Schaffung bleibender
Werte (Fahrzeuge,
Bahnhöfe,
Infrastruktur), die
langfristig für
Attraktivität und
Wirtschaftlichkeit
sorgen
• Niedersachsen ist
bundesweit führend bei
Bahnhofsmodernisierungen:
Weit mehr als jede
zweite Station wurde
erneuert
• Erhebliche
Modernisierungen im
Fahrzeugpark: fast eine
Milliarde Euro
Investitionen seit 1996
• Die LNVG ist einer der
Vorreiter beim
Wettbewerb in
Deutschland. Mehr als
die Hälfte des
Nahverkehrs auf der
Schiene ist bereits im
Wettbewerb vergeben.
Acht verschiedene
Unternehmen erbringen
inzwischen SPNV in
Niedersachsen.
• Mehr Qualität, Service
und Sicherheit in den
Zügen und ein besseres
Fahrplanangebot kann die
LNVG aus
Wettbewerbsgewinnen
finanzieren
• Keine Strecke wurde
stillgelegt
• Enorme
Fahrgaststeigerungen: 50
% mehr Personenkilometer
in Niedersachsen seit
2000.
„METRONOM“-ische
Impressionen:
|
OBEN: Eine Metronom-Wendezuggarnitur durchfährt im Herbst 2009 auf
Gleis 2 den Bahnhof Radbruch.
Quelle:
Torsten Bätge; www.galerie4me.de
|
MITTE: ME 81166 Hamburg-Altona – Bremen Hbf überquert zwischen Hamburg
Dammtor und Hauptbahnhof auf der Lombardsbrücke die Alster.
Zuglok ist die ME 146-02 (Hansestadt Lüneburg).
Quelle:
Torsten Bätge; www.galerie4me.de
|
UNTEN: Der Nord-Südstrecken-Klassiker : ME 146-05 schwingt sich in die
Burgstemmener-Kurve, im Hintergrund das Welfenschloß „Marienburg“.
Quelle:
Sebastian Schneider; www.galerie4me.de
|
Die Bayerische Oberlandbahn
Erfolg durch regionale Kompetenz
von
Heino Seeger
Mit der Bayerischen
Oberlandbahn GmbH, kurz
BOB, realisierte der
Freistaat Bayern ein
innovatives Konzept für
den
Schienenpersonennahverkehr.
Seit dem 29. November
1998 wird das 120 km
lange Streckennetz
München –
Bayrischzell/Tegernsee/Lenggries
von der Bayerischen
Oberlandbahn, heute ein
Tochterunternehmen der
Veolia Verkehr GmbH,
befahren. Für den Start
hatten sich alle
Beteiligten des ersten
privaten bayerischen
Pilotprojektes Großes
vorgenommen. Ein ganz
neuer und moderner
Zugtyp, der „Integral“
vom damaligen
österreichischen
Fahrzeughersteller
„Integral
Verkehrstechnik AG“ in
Jenbach (Tirol), sollte
den Aufbruch in die neue
Zeit repräsentieren.
Doch zu Beginn des
Betriebes zahlten
Betreiber und
Auftraggeber einen hohen
Preis. Erhebliche
technische sowie
betriebliche Probleme
dieses komplexen
Schienenfahrzeugsystems
brachten anfänglich alle
Beteiligten bis an die
Grenze ihrer
Leistungsfähigkeit.Im
November 1999 wurden
daher alle „Integrale“
zurück ins Werk nach
Jenbach überführt und
grundlegend
überarbeitet. Rund zwei
Jahre dauerte das
Retrofit-Programm,
währenddessen die BOB
mit lokbespannten Zügen
fuhr, angemietet bei der
DB Regio AG. Der große
finanzielle und
emotionale Aufwand hat
sich jedoch gelohnt:
Seit ihrer Rückkehr
fahren die „Integrale“
zuverlässig, und die BOB
hat das Vertrauen der
Fahrgäste und der
politisch
Verantwortlichen
zurückgewonnen. Bei
Fachleuten sowie Kunden
genießt sie höchste
Wertschätzung, und ihr
Konzept hat sich
durchgesetzt. Heute
liegen die
Fahrgastzahlen statt bei
den ursprünglich
erhofften 5.500
Reisenden pro Tag bei
rund 15.500 Fahrgästen
täglich.
|
Aus dem Süden Bayerns dank des innovativen Flügelkonzeptes
umsteigefrei nach München: Die Bayerische Oberlandbahn
macht es möglich.
Foto: BOB |
Erfolgreich ist die BOB
vor allem auch, weil sie
sich als Teil der Region
versteht.Weit über das
normale Maß eines
Eisenbahnverkehrsunternehmens
hinaus engagiert sie
sich für die örtlichen
Belange und beteiligt
sich an den politischen,
kulturellen und
touristischen
Entwicklungen im und für
das Oberland. In erster
Linie durch die
Sicherstellung des SPNV,
in zweiter Linie durch
Berücksichtigung der
besonderen Anliegen,
welche die Gemeinden im
Oberland und die
Landkreise Miesbach, Bad
Tölz-Wolfratshausen und
die Landeshauptstadt
München formulieren.
Dies zeigt sich
beispielsweise im
Tarifangebot. Sonder-
und Kombitickets für den
Freizeitverkehr zu
attraktiven
Ausflugszielen des
Oberlandes binden die
Region spezifisch in die
Angebotspalette der BOB
ein. In Kooperation mit
kommunalen, gewerblichen
und touristischen
Partnern aus der Region
stärken alle Beteiligten
einander und schaffen
gemeinsam das
Bewusstsein für eine
umweltfreundliche
Mobilität.
Zur
Unternehmensphilosophie
der BOB gehört auch die
starke
Kundenorientierung. Sie
wird durch einen eigens
eingerichteten
Fahrgastbeirat,
regelmäßige
Kundenbefragungen sowie
ein Diskussionsforum auf
der BOB-Homepage
gefördert. Verschiedene
Broschüren, Fahrpläne,
Kundenzeitung und
Internetauftritte
schaffen ein gutes
Informationsangebot.
Konsequent, ehrlich und
transparent erhalten die
Fahrgäste regelmäßig
Hintergrund-Informationen
zur BOB und werden
rechtzeitig über
betriebliche Vorgänge in
Kenntnis gesetzt. Über
den Kundenbeirat und die
BOB-Homepage sind sie
zusätzlich aufgefordert,
aktiv an der weiteren
Entwicklung des SPNV
mitzuwirken. Damit
verbunden ist neben
einer nachhaltigen
Service-Verbesserung
durch die BOB auch eine
wachsende emotionale
Bindung der potenziellen
Kunden an „ihre
Eisenbahn des
Oberlandes“.
|
Von den Fahrgästen angenommen: die Züge der Bayerischen
Oberlandbahn.
Foto: BOB |
Ein anderes wesentliches
Merkmal der Bayerischen
Oberlandbahn sind ihre
kurzen Reaktionszeiten.
Die Transportleitung mit
Sitz in Holzkirchen
bietet Kompetenz vor Ort
und kann daher bei
Störungen oder
Unregelmäßigkeiten
besonders schnell
handeln. So beruht die
außergewöhnlich hohe
Pünktlichkeitsrate vor
allem darauf, dass die
zuständigen
Betriebsleiter sofort
reagieren können.
Politiker und Bürger
haben erkannt, dass sich
die BOB als echter
Dienstleister versteht,
die sich dem
Eisenbahnverkehr
verschrieben hat, diesen
fördern und
weiterentwickeln will.
Dafür setzt sie ihre
ganze Kraft ein – so
auch in der aktuellen
Situation. Denn
inzwischen ist die BOB
aufgrund der großen
Nachfrage an ihre
Kapazitätsgrenzen
gestoßen. Da die
Dieseltriebzüge vom Typ
„Integral“ nicht mehr
gebaut werden und
Fahrzeuge anderer
Hersteller mit dem
„Integral“ nicht kuppeln
und „flügeln“ können,
hat die BOB ein Konzept
entwickelt, auf Grund
dessen die „Integral“-Flotte
nur noch zwischen
München und
Tegernsee/Lenggries
verkehrt. Ziel ist es,
dass die Strecke nach
Bayrischzell
elektrifiziert wird, um
dort mit neuen
Fahrzeugen somit einen
Halbstunden-Takt
einführen zu können.
Umgesetzt werden kann
das Konzept aber
nur,wenn sich die
entsprechenden Partner,
wie der Freistaat Bayern
und die DB Netz AG,
beteiligen.
Grenzüberschreitender Verkehr
auf der Insel Usedom
Tochtergesellschaft der Deutschen Bahn AG bietet den Privaten Paroli
von
Jörgen Boße
Im Jahr 2009 nutzten
496.000 Reisende die
Strecke von Ahlbeck in
die polnische Stadt
Swinemünde oder
umgekehrt. Mit der
Realisierung des
Projektes „Reaktivierung
der
grenzüberschreitenden
Verbindung Ahlbeck –
Swinemünde“ hat die Bahn
einen großen Beitrag zum
Zusammenwachsen des
polnischen und des
deutschen Teils der
Insel Usedom geleistet.
Der Erfolg lässt sich in
Zahlen messen. Im ersten
Jahr nach
Betriebsaufnahme haben
fast 500.000 Menschen
die Bahn im
grenzüberschreitenden
Verkehr genutzt.
Ursprünglich ging man im
optimistischsten Fall
von 360.000 Reisenden
aus. Im Folgenden soll
die Entwicklung des
Projektes beschrieben
werden.
1. Etappe 1997:
Reaktivierung der
Strecke Ahlbeck –
Ahlbeck Grenze
Als die Deutsche Bahn AG
1995 die Usedomer
Bäderbahn (UBB)
gründete, glaubten
wenige an den Erfolg.
Die Skeptiker waren in
der Überzahl. Einer, der
von der Idee der
Usedomer Bäderbahn
überzeugt war, war der
damalige Vizelandrat des
Kreises Wolgast. Im
Herbst 1995 forderte er,
den Ausbau der Bahn bis
in die polnische Stadt
Swinemünde
voranzutreiben. Nachdem
sich die UBB an dieses
Projekt herangewagt
hatte, stellte sie
jedoch bald fest, dass
es nicht einfach sein
werde, die vier
Kilometer lange Strecke
zu bauen.
Neben der ungeklärten
Finanzierung waren die
Eigentumsfragen, der
rechtliche Status der
Strecke, die Überwindung
der EU-Außengrenze usw.
zu klären. Es wurde
allen Beteiligten
schnell bewusst:
Entweder wird das
Projekt in zwei
Abschnitte (einen
deutschen und einen
polnischen) geteilt,
oder es ist nicht
realisierbar. Noch im
Herbst 1995 fiel dann
die Entscheidung, erst
einmal nur den
deutschen, 2,4 km langen
Streckenabschnitt von
Ahlbeck bis zur Grenze
zu realisieren.
Es wurde ein
Planungsbüro beauftragt;
mit der
Kommunalgemeinschaft
Pomerania wurde die
Finanzierung (90 %
EU-Förderung)
sichergestellt, und vom
Bund wurden die
Grundstücke der
ehemaligen Trasse
gekauft. Zwei große
Probleme hätten beinahe
zum Aus des Projektes
geführt.
Einerseits musste die
Strecke in ihrem
historischen Verlauf
wieder aufgebaut werden,
da eine Neutrassierung
aus
naturschutzrechtlicher
Sicht nahezu unmöglich
war; anderseits befand
sich im Trassenverlauf
eine ehemalige russische
Kaserne mit diversen
Bunkeranlagen. Erst die
geschickte
Verhandlungsführung des
damaligen Bürgermeisters
von Ahlbeck führte zum
Durchbruch. Die Kaserne
wurde an die Gemeinde
übertragen, die dann
wiederum der UBB die
notwendigen Flächen zur
Verfügung stellte.
Das Baurecht wurde nach
den Regelungen des
Einigungsvertrags für
die Lückenschlüsse im
Streckennetz der Bahn
erlangt. Zwar hatte man
dabei eher an die
Strecken zwischen den
alten und den neuen
Bundesländern gedacht,
jedoch ließ die
Formulierung des
Vertrages auch die
Anwendung auf den
Lückenschluss nach
Swinemünde zu.
Bereits 1996 wurde mit
den Abbrucharbeiten an
der Kaserne begonnen,
und im Frühjahr 1997
erfolgte die Rodung des
Waldbestandes sowie der
Bau der Strecke bis zur
Grenze. Am 8. Juni 1997
fuhr dann der erste Zug
an die polnische Grenze.
Zwischen Idee und
Realisierung waren nicht
einmal zwei Jahre
vergangen.
2. Etappe 2008:
Reaktivierung der
Strecke Ahlbeck Grenze –
Swinemünde Zentrum
Am 20. September 2008,
über 13 Jahre nach dem
Projektstart und 11
Jahre nach der
Inbetriebnahme der
ersten Teilstrecke,wurde
der 1,4 km lange
Streckenabschnitt
Ahlbeck Grenze –
Swinemünde Zentrum
offiziell in Betrieb
genommen. Im Folgenden
soll nicht über alle
Besonderheiten,
Hindernisse,Rückschläge
berichtet werden.
Grundsätzlich lässt sich
festhalten, dass das
Projekt erst mit dem
Beitritt Polens zur EU
im Jahr 2004 richtig
Fahrt aufgenommen hat.
Im Vorfeld gab es zwar
Planungen und
Verhandlungsrunden. Aber
letztlich wurde es dabei
nie konkret, und man
debattierte von beiden
Seiten mehr über Rolle
und Bedeutung einer
Schienenverbindung
zwischen Deutschland und
Swinemünde.
Im Sommer 2004 kamen der
damalige Bundeskanzler
und der Bahnchef auf die
Insel Usedom und trafen
sich an der Grenze mit
dem polnischen
Präsidenten. Man konnte
im Gefolge beider Seiten
viel Politprominenz aus
Bund, Land,Wojewodschaft
und polnischer
Zentralregierung
registrieren. Die
Verhandlungspartner
verständigten sich
darauf, das Projekt
„Bahnverbindung“ jetzt
schnell zu einem Erfolg
zu führen.
Die Planungen wurden mit
Hochdruck
vorangetrieben, und die
Kommunalgemeinschaft
Pomerania signalisierte
die Bereitschaft, das
Projekt zu fördern.
Während gemeinsam mit
der Stadt Swinemünde die
Planung und das
Planverfahren
vorbereitet wurden, kam
die
Finanzierungsvereinbarung
mit der polnischen
Vertretung der Pomerania
nicht voran. Im Frühjahr
2005 gab es eine
Beratung mit allen
Beteiligten in Stettin,
bei der das Projekt
wieder einen
empfindlichen Rückschlag
erlitt. Durch die
polnische Seite wurde
definitiv
ausgeschlossen,
EU-Mittel für das
Bahnprojekt
bereitzustellen, da
diese bereits für
Straßenprojekte auf der
Insel Wollin für die
Förderperiode bis 2007
verplant waren.
Diese Entscheidung
wiederum führte auf
deutscher Seite zu einem
gewissen Unverständnis,
und die gegenseitigen
Reaktionen führten zu
Spannungen, welche eine
Realisierung des
Projektes immer weniger
wahrscheinlich werden
ließen. Erst durch das
Eingreifen der für den
deutschen Teil
zuständigen
Geschäftsführung der
Pomerania konnte eine
Lösung gefunden werden.
Die Förderung sollte
seitens der Pomerania
aus EU-Mitteln (Intereg
IIIa) durch die deutsche
Seite erfolgen.
Voraussetzung war, dass
die UBB einen
Förderantrag stellt und
den Nachweis erbringt,
dass sie Eigentümer der
Grundstücke und somit
später der Bahnanlagen
ist. Weiterhin sollte
die Strecke nach
deutschen Vorschriften
gebaut und betrieben
werden. Eine Lösung, die
noch zu vielen Problemen
führen sollte, wie sich
später herausstellte.
Jetzt konnte die Planung
zu Ende gebracht werden.
Die Stadt widmete die
Strecke für die
Eisenbahn, ein
Kaufvertrag für die
Grundstücke wurde
vorbereitet, alles
schien zu laufen. Ein
Regierungswechsel in
Warschau stoppte dann
wieder alles. Die
Grundstücke durften
nicht verkauft werden,
und die Stadt Swinemünde
sollte die
Bahnverlängerung in
Eigenregie durchführen.
Wieder gab es ein
längeres Hin und Her.
Das Projekt schien
abermals auf die
Abstellspur zu geraten.
Erst die Drohung der
Pomerania, sich aus der
Finanzierung
zurückzuziehen, brachte
wieder Bewegung. Die
Lösung war ein
Pachtvertrag mit einer
Mindestlaufzeit von 30
Jahren.
Durch die eingetretenen
Verzögerungen hatte sich
der Baustart in den
Herbst 2007 verschoben.
Durch den mittlerweile
durch Polen erfolgten
Beitritt zum Schengener
Abkommen entfielen die
sonst notwendigen
Kontrollanlagen in
Swinemünde. Die Strecke
wurde nach der deutschen
EBO und ESO geplant und
realisiert. Für Weichen,
Signale etc. mussten
daher durch die
polnische
Eisenbahnaufsichtsbehörde
UTK entsprechend dem
polnischen Recht
Ausnahmegenehmigungen
erteilt werden. Nach
Fertigstellung der
Infrastruktur durch die
UBB musste jene durch
die polnischen Behörden
abgenommen und
freigegeben werden. Um
eine Betriebserlaubnis
zu erhalten,war es
außerdem erforderlich,
dass die UBB eine
Tochtergesellschaft mit
Sitz in Swinemünde
gründet.
Trotz aller Probleme
konnte durch die
Unterstützung der Stadt
Swinemünde, der
deutschen und polnischen
Behörden, des Landes
Mecklenburg-Vorpommern
sowie der Deutschen Bahn
AG das Projekt zu einem
positiven Ergebnis
gebracht werden.
Ein in Europa einmaliges
Projekt, welches nur
durch die EU und die
Kommunalgemeinschaft
Pomerania möglich wurde!
Erstmals hat eine Bahn
in einem anderen Land
eine Bahnstrecke gebaut,
finanziert und betreibt
diese
eigenwirtschaftlich –
und dies im Wesentlichen
nach Vorschriften eines
anderen
EU-Mitgliedstaates!
|
Das Streckennetz
der UBB
Foto: UBB |
3. Etappe:
Reaktivierung der
Bahnstrecke Swinemünde –
Ducherow Neben
vielen anderen Projekten
steht langfristig die
Reaktivierung der
Südanbindung der Insel
Usedom auf der
Tagesordnung. Dieses ca.
140 Millionen Euro teure
Projekt wird dann die
Verbindung Berlins mit
seiner „Badewanne“
wieder bei einer
Fahrzeit unter zwei
Stunden ermöglichen.
Damit wird auf der
Relation Berlin – Usedom
die Bahn als Alternative
zum Auto wieder
wettbewerbsfähig.
Mit der Reaktivierung
der Strecke Ahlbeck –
Swinemünde wurde bereits
ein Teil dieser Strecke
wieder aufgebaut. Viele
Probleme, die
ursprünglich das
Gesamtprojekt
„Südanbindung“
belasteten, konnte die
UBB inzwischen
beseitigen.Wie bereits
beschrieben, ist die
Frage des Baus und
Betriebs einer Strecke
in Polen durch die UBB
geregelt. Aber auch die
unterbrochene Trasse in
Polen konnte geschlossen
werden. Die Stadt
Swinemünde hat eine neue
Trasse festgelegt,
sodass planrechtlich die
gesamte Strecke wieder
als Eisenbahn gewidmet
ist.
Eine vom Bund in Auftrag
gegebene
Wirtschaftlichkeitsstudie
kam leider nicht zu
einem positiven
Ergebnis. Hier ist
jedoch anzumerken, dass
auf der einen Seite
weder der Güterverkehr
(Hafenstandort
Swinemünde) noch der
innerpolnische
Personenverkehr (Swinemünde
ist über diese Strecke
wesentlich schneller mit
dem Oberzentrum Stettin
verbunden) in die
Betrachtung einbezogen
wurden.
Trotz der Unterstützung
von vielen Seiten wird
es wohl noch einige Zeit
dauern, bis dieses
Projekt Realität wird.
Start der Berchtesgadener Land Bahn
– die ersten 100 Tage im Rückblick
Nervenprobe für Betreiber und Fahrgäste
von
Arnulf Schuchmann
Mit 13. Dezember 2009
hat die Berchtesgadener
Land Bahn (BLB) den
Betrieb der Strecke
Freilassing –
Berchtesgaden
übernommen. Zuvor wurde
der Betrieb von einer
Kooperation aus Deutsche
Bahn AG und ÖBB geführt.
Das Betriebskonzept ist,
bezogen auf die
Fahrplanlagen, im
Grundsatz gleich,
wesentliche Änderungen
seit Übernahme des
Betriebes sind:
• mehr Fahrten am
Wochenende
• Einsatz eines anderen
Fahrzeuges des Typs
FLIRT der Firma Stadler;
fast durchgängige
Niederflurigkeit des
Fahrzeugs ist hier ein
besonderes Merkmal
• Einsatz von
Zugbegleitern für
Sicherheit und Service
im Zug sowie der Verkauf
von Fahrkarten; in
diesem Zusammenhang
wurden die
Fahrkartenautomaten
entlang der Strecke
abgebaut.
Da der Betrieb von der
Bayerischen
Eisenbahngesellschaft
europaweit
ausgeschrieben wurde und
keine gemeinsame
Bestellung mit dem Land
Salzburg zustande kam,
beschränken sich die
bestellten Verkehre auf
deutsches Staatsgebiet;
die bisher bestehende
Durchbindung nach
Salzburg wurde damit
faktisch aufgegeben.
Gemeinsam mit den ÖBB
hat die BLB eine auf
einem aufwandsneutralen
Kilometerausgleich
basierende Durchbindung
vereinbart, die am 12.
April 2010 umgesetzt
wird. Damit wurde
angebotsseitig das vor
dem Betreiberwechsel
vorhandene
Qualitätsniveau in
Verbindung mit den
Mehrverkehren
insbesondere an
Wochenenden sicher
übertroffen.
Start verlief
nicht nach Plan –
Fahrzeugzulassung mit
Tücken
Die Übernahme
des Betriebs der Strecke
zwischen Freilassing und
Berchtesgaden zum
Fahrplanwechsel im
Dezember 2009 verlief
holprig und nicht nach
den Vorstellungen der
BLB, der Politik im
Landkreis
Berchtesgadener Land und
der Fahrgäste. Ursache
war die Mitteilung, die
am 9. Dezember 2009 –
also vier Tage vor
Betriebsaufnahme –
eintraf, dass die neuen
Fahrzeuge keine
Zulassung durch das
Eisenbahnbundesamt (EBA)
erhalten würden. Bis zu
diesem Zeitpunkt waren
alle operativen
Vorbereitungen
getroffen, von der
Ausbildung und Prüfung
der Mitarbeiter, über
Uniformen und
Anweisungen,
verschiedene Verträge
mit den Deutsche Bahn
Konzerngesellschaften
zur Nutzung von Anlagen
und zur
Vertriebskooperation bis
hin zum Marketing und
einer Feier zur
Inbetriebnahme.
Diese Meldung kam
insoweit überraschend,
als seitens der
Bahnindustrie bis dahin
immer beteuert worden
war, dass die Zulassung
der Fahrzeuge
üblicherweise sehr knapp
vor Betriebsaufnahme
erfolgt und keine
ernsten technischen
Schwierigkeiten bei dem
inzwischen mehr als 500
Mal verkauften Fahrzeug
existieren. Der Bau der
Fahrzeuge wurde von der
BLB und deren
Muttergesellschaften –
Salzburg AG sowie
Regental
Bahnbetriebs-GmbH – von
Anbeginn begleitet,
regelmäßige
Baufortschrittsberichte
wurden geliefert, und
auch bezüglich der
Zulassung begann der
Prozess nach
menschlichem Ermessen
zeitgerecht im Frühjahr
2009.
Von der BLB wurden, wie
in der Branche üblich,
nicht nur
funktionsfähige und
sichere, sondern auch
zugelassene Fahrzeuge
beim Lieferanten
bestellt. Die ersten
Fahrzeuge sollten per
30. September 2009 mit
behördlicher Zulassung
durch das EBA und der
für den Teilabschnitt
zwischen Bad Reichenhall
Kirchberg und Hallthurm
erforderlichen
Steilstrecken-Zulassung
durch den
Infrastrukturbetreiber
Deutsche Bahn Netz AG
ausgeliefert werden.
Hier tauchte erstmals
eine Verzögerung auf,
die ersten beiden
Fahrzeuge wurden nur mit
Steilstrecken-Zulassung
durch DB Netz AG – sie
erfolgte im Juni 2009 –
nach Freilassing
überführt. Sie wurden
für Schulungs- und
Testfahrten benötigt und
waren vom Lieferanten
termingerecht fertig
gestellt. Allein, die
Zulassung ließ auf sich
warten.
|
Betreiberwechsel: Bis Dezember 2009 bewältigten die ÖBB-Triebwagen
Talent im Auftrag von DB Regio den Nahverkehr im
Berchtesgadener Land. Mit einem ambitionierten Konzept und
den Triebwagen FLIRT übernahm die Berchtesgadener Land Bahn
den Betrieb.
Foto: Philipp Mackinger |
Es ist nachvollziehbar,
dass der Betreiber
keinen Einfluss auf das
Zulassungsverfahren von
Eisenbahnfahrzeugen hat
– dies ist Angelegenheit
zwischen Hersteller und
Behörde. Diese stehen
ständig in Kontakt,auch
über allfällige
Änderungen im
Zulassungsverfahren. Dem
Betreiber bleibt nur,
Fahrzeuge früh genug zu
bestellen – in der
Vergangenheit reichten
zweieinhalb Jahre vor
Betriebsaufnahme aus,
noch dazu bei einem
bereits mehrfach in
Deutschland zugelassenen
Fahrzeug – und in den
Vertrag ein Pönale für
Spätauslieferung bzw.
nicht erfolgte Zulassung
aufzunehmen. Beides ist
im Fall der BLB erfolgt.
Gleichwohl hat es nicht
für eine zeitgerechte
Zulassung ausgereicht;
die Fahrgäste hatten das
Nachsehen – dies jedoch
nicht nur im Fall der
BLB, sondern mehrfach in
Deutschland,unabhängig
von Fahrzeughersteller
oder Betreiber. So
warteten neben der BLB
die Deutsche Bahn Regio
für fünf Ausschreibungen
(66 Fahrzeuge), Keolis
Eurobahn (14 Fahrzeuge),
VIAS (4 Fahrzeuge) und
Rhenus Veniro (3
Fahrzeuge) auf die
Zulassung.
Herstellerseitig waren
Bombardier (19
Fahrzeuge), Stadler (22
Fahrzeuge) und Alstom
(47 Fahrzeuge)
betroffen.
Hatten sich nun alle
Hersteller von
Schienenfahrzeugen
zeitlich „vertan“,
verfügten sie über ein
ungeeignetes
Projektmanagement oder
unzureichende
Unterlagen? Zumindest
verbleibt neben dem
Ärgernis für die
Fahrgäste und dem
wirtschaftlichen Schaden
für die Betreiber ein
unangenehmer
Nachgeschmack
hinsichtlich der Rolle
der Beteiligten im
Verfahren zur Zulassung
der Fahrzeuge.
Ersatzkonzept
als große
Herausforderung für
Betreiber und Fahrgäste
Die betroffenen
Betreiber haben
„Kopfstände“ gemacht, um
für Ersatzkonzepte zu
sorgen, die häufig
angepasst werden mussten.
Aufgrund der hohen
Anzahl nicht
zugelassener Fahrzeuge
wurde es auf dem
deutschen Markt knapp
mit Ersatzfahrzeugen. Im
Fall der BLB kam
erschwerend hinzu, dass
die Fahrzeuge über eine
Steilstrecken-Zulassung
verfügen mussten. Dies
schränkte die
Möglichkeiten weiter
ein. Darüber hinaus
waren die
BLB-Mitarbeiter auf
FLIRT und Talent
geschult, jedoch nicht
auf anderen in Frage
kommenden Fahrzeugtypen.
Die Ausleihe von
Lokführern und das
Nachschulen der eigenen
Mitarbeiter für andere
Fahrzeugtypen war die
Folge. Dass in einer
solchen Situation ein
kleiner Betreiber
größere Schwierigkeiten
hat, da er weder über
die Personalressourcen
noch über eigene
Ersatzfahrzeuge – wie
große Staatsbahnen –
verfügt, ist klar.
Gleichwohl ist es der
BLB gelungen, zu jeder
Zeit ein Ersatzkonzept
zur Bedienung der
Strecke zu realisieren.
Hiermit waren zum Teil
Qualitätseinbußen für
die Fahrgäste verbunden,
die moderne Fahrzeuge
und überwiegend
durchgebundene Linien
gewohnt waren. In der
ersten Phase des
Ersatzverkehrs bis 22.
Januar 2010 wurden im
Streckenteil zwischen
Bad Reichenhall und
Berchtesgaden Busse
eingesetzt. Hintergrund
für diese Entscheidung
war, dass einerseits
steilstreckentaugliche
Schienenfahrzeuge als
Ersatz nur sehr
eingeschränkt
existierten und
andererseits nicht
absehbar war, wie lange
die Verzögerung in der
Zulassung der Fahrzeuge
dauern würde. Mitte
Januar entschied die
BLB, jedenfalls einen
durchgängigen
Schienenbetrieb auf der
Strecke einzurichten.
Hierzu wurden Fahrzeuge
von der Westerwaldbahn
und der Niebüller
Eisenbahngesellschaft
sowie zwei Lokomotiven
der Baureihe 185 mit
drei „Silberlingen“
ausgeliehen. Drei
lokbespannte Züge als
steilstreckentauglichen
Ersatz einzusetzen
scheiterte schlicht an
den Kosten, da jeder Zug
mit zwei Lokomotiven
hätte ausgestattet
werden müssen
(„Sandwich“). DB Netz AG
hatte entschieden, dass
für ein regelmäßiges
Umhängen der Lokomotive
an den Anfang des Zuges
in Freilassing weder die
erforderliche Zeit noch
die Gleiskapazitäten zur
Verfügung stünden. Die
Alternative zum Betrieb
mit Steuerwagen bestand
nicht, da solche nicht
zu erhalten waren.
|
Eines der Ersatzkonzepte: Nach anfänglichem Schienenersatzverkehr
mit Bussen im Abschnitt Berchtesgaden – Bad Reichenhall
und Einsatz von Dieseltriebwagen im Abschnitt Bad Reichenhall –
Freilassing kam ab Mitte Jänner auch eine „Sandwichgarnitur“
mit zwei Lokomotiven der Baureihe 185 und drei „Silberlingen“ für
einen durchgehenden Betrieb zum Einsatz.
Foto: Albert Hitfield |
Am 24. und 25. Februar
2010 wurden die FLIRT
der BLB dann vom EBA
zugelassen, die Freude
hierüber und den dann
komfortablen und
planmäßigen Betrieb war
dem Personal und den
Fahrgästen deutlich
anzumerken.
Unglaublichem
Sabotage-Akt wurde mit
Bravour begegnet
Dann ereilte die BLB ein
bisher in der Branche
unbekanntes Ausmaß an
Vandalenakten: In der
Nacht auf den 26.
Februar 2010 wurden alle
Fahrzeuge unbrauchbar
gemacht. In dieser
Situation zeigte sich
erstmals die
Flexibilität und
Schnelligkeit privater
Strukturen. Bereits am
nächsten Morgen waren
wieder drei Fahrzeuge im
Einsatz, nach drei
Tagen, am 1. März 2010,
konnte der vollständige
Fahrplan wieder mit
FLIRT bedient werden.
Der von der BLB
beauftragten Werkstatt
der Salzburger Lokalbahn
war es in Zusammenarbeit
mit dem
Fahrzeughersteller und
Privatunternehmen
gelungen, mehr als 40
Scheiben für den
Austausch der zerstörten
Fenster zu besorgen,
geliefert zu bekommen
und einzubauen. Die BLB
konnte beweisen, dass
sie Dinge, die anders
als die Zulassung von
Fahrzeugen im eigenen
Einflussbereich liegen,
schnellstmöglich im
Sinne der Kunden
organisiert und
realisiert.
Direktverbindung
der S 3 bringt
attraktiven Fahrplan
zwischen Salzburg und
Bayern
Da die Kunden der BLB in
erster Linie im
Landkreis
Berchtesgadener Land und
im Land Salzburg zu
Hause sind, versteht
sich die BLB als
regionale Bahn, die ihre
Leistungen für die
Region und in ihr
erbringt. Daher setzt
sich die BLB auch für
weitere
Fahrplanverbesserungen
bei der Bayerischen
Eisenbahngesellschaft
ein. Dort laufen die
Fäden für den
Bayern-weiten
Nahverkehrsfahrplan
zusammen und dort wird
über das Angebot
entschieden.
|
Der neue FLIRT-Triebwagen kommt gut an. Rege Fahrgast-Nachfrage
im Bahnhof Hammerau in Richtung Berchtesgaden.
Quelle: BLB |
ÖBB und BLB
kooperieren gedeihlich
Nachdem die
FLIRT den Betrieb
erfolgreich übernommen
hatten, standen und
stehen andere Punkte
oben auf der Agenda, wie
u. a. Realisierung der
Durchbindung nach
Golling zusammen mit den
ÖBB, die seit 12. April
2010 funktioniert,
Abstimmung von
Fahrplanverbesserungen
zum nächsten
Fahrplanwechsel im
Dezember 2010,
Verbesserungen der
Haltestellen und
Bahnhöfe auf der
Strecke, insbesondere im
Hinblick auf
Fahrgast-Informationen,
Beseitigung von
Langsamfahrstellen und
ungesicherten
Bahnübergängen auf der
Strecke zur Erhöhung der
Geschwindigkeit,
Abschluss einer
Vereinbarung mit dem
Landkreis zur
Fahrradbeförderung,
Suche nach
Lösungsmöglichkeiten zur
Kurkarten-Anerkennung,
Einleitung bzw.
Verstärkung
touristischer
Kooperationen und
genereller Marketing-
Aktivitäten. Auch hier
wird sich zeigen, wie
weit die BLB als
Privater kommt. Wo
selbst beeinflusst, wohl
recht weit, wo andere
die Entscheidungen
treffen, bleibt auf
Einsicht zu hoffen.
Welche Bahn ist (noch) privat?
Europäische Staatsbahnen kaufen vermehrt Anteile privater Gesellschaften
von
Michael Behringer
Nach der Bahnreform 1993
und im
Schienenpersonennahverkehr
(SPNV) nach der
Übertragung der Aufgaben
an die Bundesländer
schossen in Deutschland
„private“ Bahnbetreiber
wie Pilze aus der Erde
und lieferten einander
einen teils heftig
geführten Wettbewerb mit
der DB AG. Insgesamt
mehr als 50
Eisenbahnverkehrsunternehmen
(EVU) sind mittlerweile
auf deutschen Schienen
zugelassen, die wiederum
inklusive der
Sicherheitstechnik zur
DB Netz AG gehören, die
auch in diesem Jahrzehnt
(mit der Bundesregierung
vereinbart) das Sagen
auf den ca. 35.000 km
Schienenstrecken im
vereinten Deutschland
hat – und auch die
Trassenentgelte für
jeden gefahrenen
Kilometer kassiert.
Im SPNV-Bereich hatte
die Bahnreform den
Vorteil gebracht, dass
die Länder entweder über
zentrale
Bestellerorganisationen
(Bayern und
Niedersachsen zum
Beispiel) oder über
Verkehrsverbünde als
Aufgabenträger sich ein
kostengünstiges und mit
guten Konzepten
ausgestattetes
Verkehrsunternehmen
aussuchen und (in der
Regel über den Weg
europaweiter
Ausschreibungen) auch
beauftragen konnten. Für
den Schienenverkehr auf
der „Fläche“ und
speziell für die
Fahrgäste führte das zu
einem wesentlich
erweiterten Angebot,
auch an Wochenenden und
zu den Tagesrandzeiten,
verbunden mit neuen
Fahrzeugen und einem
besseren Service.
Nachdem die
Nahverkehrssparte der
Deutschen Bahn, die DB
Regio, mehrere
Ausschreibungen auch in
lukrativen
Verkehrsgebieten
verloren hatte, erwachte
sie aus dem
Dornröschenschlaf,
änderte ihre Strategie
und wechselte auch die
Führungsriege aus, mit
dem Ergebnis, dass sich
insgesamt das
Qualitätsniveau
erheblich verbessert
hat.
Die Erfolge der
einzelnen EVU im
Nahverkehr und der
Rückgang der
Marktanteile waren den
Strategen der DB AG
ebenso ein Dorn im Auge,
wie auch andere
europäische
Staatsbahnen, deren
Schienenverkehrs-Strukturen
noch nicht so
liberalisiert sind, auf
die Idee kamen, „sich am
Buffet des deutschen
SPNV zu bedienen“.
Vielleicht wäre es
illoyal, sich in
direkter Konkurrenz zur
nationalen Staatsbahn
verstärkt mit
Konkurrenzangeboten an
Ausschreibungen zu
beteiligen; vielleicht
ist es aber auch ein
genialer Schachzug,
gerade mal frei werdende
Anteile von Privatbahnen
zu erwerben und dabei
firmenintern die
Kommandobrücke zu
erklimmen und die
Konkurrenz direkt
steuern zu können.
Während erfolgreiche
Gesellschaften, wie
Metronom, Hessische
Landesbahn oder BeNex in
der Summe der
Eigentumsverhältnisse
immer schon mit 50 %
oder knapp darüber in
öffentlicher (auch
kommunaler) Hand waren,
tat sich in den letzten
Monaten und Jahren
folgendes: Die
SPNV-Sparte der
Keolis-Gruppe (eurobahn)
gehört nach einem
Aktientausch jetzt zu 50
% der französischen
Staatsbahn. Die Dänische
Staatsbahn erwarb die
Hälfte der Anteile bei
VIAS (der Rest blieb bei
der Ruhrtalbahn). Den
größten Aufschrei gab es
allerdings in diesem
Frühjahr, als bekannt
wurde, dass die DB AG
die Aktien des
börsennotierte
Unternehmens Arriva
erwerben wolle und
eigentlich schon kurz
vor dem Abschluss stehe.
Damit würden der ALEX,
die Vogtlandbahn und die
ehemals
bayerisch-staatliche
Regentalbahn, und so
auch 50 % der
Berchtesgadener Land
Bahn, in die Hände der
DB AG fallen, die Erlöse
aus den
Besteller-Entgelten
selbstverständlich auch.
Nach dem Spruch:„Wo das
Geld ist, ist die Macht“
könnte dies bedeuten:
• konzernintern
abgesprochene
Scheinangebote verzerren
den Wettbewerb
• gute
Alternativkonzepte
verschwinden im
DB-Einheitsbrei
• die Tarifverträge der
Deutschen Bahn werden
ausgehöhlt und finden
immer weniger Anwendung
• „kranke“ Abschnitte
werden durch
Angebotsboykott in die
Stilllegung getrieben.
Dies alles kann, muss
aber nicht eintreten.
Nachdem sich der Staat
trotz seiner
hundertprozentigen
Eigentümerstellung nicht
mehr in die internen
Belange des DB-Konzern
einmischt und nur bei
Schwierigkeiten eine
Regulierung über die
Bundesnetzagentur
anbietet,wächst die
Machtstellung des
jeweiligen Bahnchefs
durch diese neue
Entwicklung noch mehr
und greift indirekt
sogar in
Länderkompetenzen ein,
ohne dass es ein
wirksames Gegenmittel
gibt. Denn die Regeln
des freien Marktes sind
kaum geeignet, die
Gemeinwohlfunktionen des
Schienenverkehrs
sicherzustellen. Einzige
Hoffnung ist die
Forderung, in den
einzelnen Unternehmen
die Schlüsselfunktionen
durch Personen mit
Sachkompetenz und der
nötigen inneren
Einstellung zu besetzen,
deren Hauptinteresse das
System Schiene ist und
nicht ein kurzfristiger
Börsentrend. Dafür
sollen alle Fahrgast-
und Umweltverbände
unternehmensübergreifend
eintreten.
Die Autoren |
Trevor Garrod
ist Vorstandsmitglied von Railfuture und Vorsitzender
des Europäischen Fahrgastverbandes (EPF).
Hans Leister,
ist Geschäftsführer von Keolis Deutschland
GmbH & Co. KG.
Kerstin Heinemann ist Pressesprecherin der LNVG (Landesnahverkehrsgesellschaft)
für Niedersachsen in Hannover.
Heino Seeger,
ist Geschäftsführer und Oberster Betriebsleiter der Bayerischen Oberlandbahn GmbH. Anfang 2004 wurde er Regionalleiter der Veolia Verkehr GmbH für die Region Süd.
Jörgen Boße
ist seit 1995 Geschäftsführer der Usedomer
Bäderbahn GmbH (UBB) und auch seit 2008 Geschäftsführer
der UBB Polska Sp. Z. o.o.
Arnulf Schuchmann ist Geschäftsführer der Berchtesgadener
Land Bahn BLB.
Michael Behringer, Hammerau, Rechtsanwalt i.R., Bund Naturschutz
in Bayern e.V., 1. Vorsitzender der Ortsgruppe Freilassing
und Umgebung, Mitglied im „Verkehrsforum ÖPNV
Berchtesgadener Land“, Redaktionsmitglied der Regionalen
Schienen. |
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