Hoher Anspruch an Stadtgestaltung
und Design in französischen Städten
von
Robert Schrempf,
RS-Redakteur
Seit Mitte der achtziger
Jahre entstehen in
französischen Städten
mit großem Erfolg neue
ÖPNV-Verkehrssysteme.
Kennzeichnend ist vor
allem die Vorgangsweise,
Straßenbahn- und
Bus-Systeme als
Instrument für
städtebauliche
Aufwertungsmaßnahmen und
für die Belebung der
(Innen-) Städte zu
nützen. Staatliche
Subventionen verstärkten
den Anreiz.
Nach drei Jahrzehnten
reger Bautätigkeit lässt
sich sagen: Die
Neugestaltung der
(Innen-) Städte samt
Änderung der
Mobilitätskultur bietet
einen schönen
Aktionsbereich für
Lokalpolitiker. Der hohe
ästhetische Anspruch,
aber auch die
Umverteilung des
öffentlichen Raums sorgt
nach anfänglicher Kritik
für eine große
Beliebtheit in der
Bevölkerung. Dipl.-Ing.
Yo Kaminagai,
Chefdesigner des
französischen
Verkehrsunternehmens
RATP (Paris), erläuterte
bei den Salzburger
Verkehrstagen die 30
„glorreichen“ Jahre. Gab
es 1977 in Frankreich
nur noch drei
schienengebundene Netze
mit jeweils einer Linie,
so stieg deren Anzahl
bis 2013 auf 26 Netze
und 60 Linien. Bis 2020
sollen es 30 Netze und
mehr als 80 Linien sein.
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Mülhausen:
Der Künstler
Daniel Buren
gestaltete die
Haltestellen der
Straßenbahnlinie
2 in Mülhausen (Mulhouse)
im Elsass;
stadtbildprägend
sind die bunten
Bögen.
© Foto: Robert Schrempf |
Strategie für eine
attraktive
Stadtentwicklung
Als Erfolgsfaktoren für
die beeindruckende
Entwicklung nannte Yo
Kaminagai die
hochwertige Gestaltung
der Trassen sowie der
Haltestellen- und
Stadtmöblierung, die
Erneuerung des Umfelds
von Fassade zu Fassade,
die Aufstellung
zeitgenössischer
Kunstwerke im
öffentlichen Raum, die
Personalisierung durch
den Einsatz
charakteristischer
Designerfahrzeuge und
die daraus entstehende
neue visuelle Identität
für die
Verkehrsunternehmen. Es
entstand daraus eine
Taktik und Strategie für
eine attraktive
Stadtentwicklung, welche
auch die Wichtigkeit und
die Wirksamkeit des
Designs unterstreicht.
Es bietet ein starkes
Mittel, um das
Stadtimage zu wechseln
und die Mobilitätskultur
zu erneuern. Frankreichs
Straßenbahnsysteme
schaffen eine
Atmosphäre, die viele
mit Kunst im
öffentlichen Raum
vergleichen.
Frankreichs Bauboom
lässt sich in drei
Perioden einteilen:
• 1990: Design als
Taktik, um die Akzeptanz
der Projekte zu erhöhen
• 2000:
Stadtplanungsprojekte
fast wichtiger als
Verkehrsprojekte
• 2010: Wirtschaftliche
Rationalisierung
Gesamtstädtische
Strategie zur
Verkehrsverlagerung
Entwicklung war der
Entschluss des Staates,
die Errichtung auf
Eigentrasse verkehrender
Nahverkehrssysteme,
welche die Integration
in eine gesamtstädtische
Strategie, in den
Umweltschutz und die
Verkehrsverlagerung
vorsehen, zu fördern.
Die Verkehrsbelastung
war vielerorts schon
groß, die Lebensqualität
stark beeinträchtigt.
Vor allem auf den
Stammstrecken im
Stadtkern verkehrten
zuvor in vielen Städten
Busse dicht
hintereinander. Die
daraus entstandene
Lärmbelästigung und
Flächeninanspruchnahme
wurde zunehmend kritisch
gesehen. Die steigende
Fahrgastnachfrage,
verstärkt durch
gegenseitige Behinderung
zwischen Bus- und
Autoverkehr, führte zu
einem Absinken der
Reisegeschwindigkeit und
Fahrplantreue.
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Clermont-Ferrand:
Der zentrale
Platz Jaude
zeigt, dass auch
mit einem
Bus-System eine
hochwertige
Gestaltung des
öffentlichen
Raums umgesetzt
werden kann.
© Foto: Harald A. Jahn |
Eine Neuaufteilung des
öffentlichen Raums
brachte die Lösung.
Parallel mit der
Neugestaltung ganzer
Straßenzüge und Plätze
wurde der Autoverkehr in
den Innenstädten
redimensioniert, es
wurden Eigentrassen für
Tram-, Spurbus- und Bus-
Systeme geschaffen und,
einhergehend mit der
Verschönerung des
öffentlichen Raums, die
Flächen für Gehende und
Radfahrende ausgeweitet.
Rückblickend betrachtet,
machte auch die
Schaffung neuer
Finanzierungs- und
Organisationsstrukturen
wie etwa die Einführung
der Nahverkehrsabgabe „Versement
Transport“, die von
Arbeitgebern mit mehr
als neun Beschäftigten
eingehoben wird, den
Bauboom möglich. Die
Transportsteuer (bis zu
2,6 % der Lohnsumme)
sichert planbare
Investitionsmittel;
damit können die
Kommunen die
Betriebskostenunterdeckung
der öffentlichen
Verkehrsbetriebe
ausgleichen und neue
Infrastruktur
finanzieren. Die
Nahverkehrsabgabe baut
auf der Überlegung auf,
dass der
volkswirtschaftliche
Nutzen eines gut
ausgebauten ÖPNV zum
Teil von den
Begünstigten zu
finanzieren ist. Die
Arbeitgeber als
Nutznießer können, wenn
Kunden und Angestellte
mit öffentlichen
Verkehrsmitteln
anreisen, die
Aufwendungen für
Filialen und Parkplätze
reduzieren. Zudem geht
es bei den Projekten zu
einem Gutteil um
Umwegrentabilität; die
Änderung der
Verkehrskultur belebt
die lokale Infrastruktur
und Wirtschaft.
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Dijon:
Der Platz Darcy, über
den seit Herbst
2012 wieder eine
Tramlinie führt,
zeigt ein
klassisches
Beispiel für die
Wiedergeburt des
urbanen Raumes.
© Foto: Otfried Knoll |
Zuletzt wurde versucht,
die mittlerweile hohen
Projektkosten durch
Standard-Lösungen zu
verringern, ohne dass
dabei die Qualität der
öffentlichen Räume unter
diesen
Budget-Restriktionen zu
leiden hat. So
entschieden sich zum
Beispiel die Kommunen in
Brest und Dijon zu einer
gemeinsamen
Rollmaterialbeschaffung,
was den Stückpreis der
33 Meter langen
Fahrzeuge auf etwa zwei
Millionen Euro
verringerte. Dies fand
bereits Nachahmer, die
Städte Amiens und Caen
folgen diesem Beispiel.
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