Schweiz:
Erste-Klasse-Komfort im
S-Bahn- und
Regionalverkehr
Qualität darf auch etwas kosten
von
Jürg D. Lüthard
Immer mehr Schweizer
(Schmalspur-) Bahnen
bieten in ihren neuen,
vollklimatisierten
Niederflur-Triebzügen
höchsten Komfortstandard
durch geräumige
Erste-Klasse-Abteile.
Dabei gelingt es,
durchaus betuchte
Bevölkerungsschichten zu
gewinnen. Ob Pendler
oder Reisende, sie
schätzen den
individuellen Freiraum
am Platz und die ruhige
Atmosphäre in der 1.
Klasse.
Titelbild:
Die neuen
Stadler-Triebzüge
des Typs
„Diamant“ bieten
den Fahrgästen
höchsten Komfort
und Qualität.
Dank edlem
Design,
hochqualitativer
Ausstattung und
1.-Klasse-Abteil
konnte die BDWM
Transport AG
ihre
Wettbewerbsfähigkeit
gegenüber dem
Auto am Markt
sichern. © Foto:
Robert Schrempf
Üblicherweise verkehren
in der Schweiz alle Züge
sowohl mit der 2. als
auch mit der 1.
Wagenklasse. Bei der SBB
führen alle Züge beide
Klassen, lediglich
westlich von Genf kommen
noch bis 2015
S-Bahn-Triebzüge nur mit
der 2. Klasse zum
Einsatz. Bei den
Privatbahnen sind die
Züge mehrheitlich mit
beiden Klassen versehen.
Ausnahmen sind
größtenteils rein
touristische Bahnen
(Jungfrau-, Gornergrat-,
Pilatusbahn etc.) und
sehr kurze Bahnstrecken
(Rheineck –
Walzenhausen, Oensingen
– Balsthal, Orbe –
Chavornay, etc.) sowie
Tram- und Vororte-
Bahnen.
Höchster Komfort im
S-Bahn-Verkehr
Alle normalspurigen
S-Bahn-Systeme in Basel,
Bern, Luzern,
Schaffhausen, St.
Gallen, Zug, Zürich und
am Genfer See sowie im
Tessin verfügen über
beide Klassen, wobei der
Anteil an Sitzplätzen in
der 1. Klasse je nach
Zugtyp zwischen 10 und
23 Prozent beträgt. Die
vierteiligen
Flirt-Triebzüge der
„Südostbahn“, die über
24 Sitze der 1. Klasse
in der Anordnung 2 + 1
verfügen, bilden durch
den ganz bewusst hohen
Ausbaustandard die
schweizweit
komfortabelste 1.
Klasse. Ganz nebenbei:
Diese Züge verkehren
vorwiegend auf der
S-Bahn St. Gallen!
Bemerkenswert ist, dass
es in den letzten Jahren
bei mehreren Meterspur-
Bahnen zur Einführung
der 1. Klasse kam, so
2010 in der
Agglomeration Zürich auf
der
Bremgarten-Dietikon-Wohlen-Bahn
und 2013 auf der
ostschweizerischen
Frauenfeld-Wil-Bahn.
2017 folgt die zu den
Appenzeller Bahnen
gehörende Trogener Bahn
(Teil der
Durchmesserlinie Trogen
– St. Gallen – Gais)
diesem Trend.
Aktuell beteiligt sich
der Kanton Waadt an der
Beschaffung von 30 zwei-
und dreiteiligen
Triebzügen für seine
diversen
Meterspur-Bahnen. Auch
wenn die bei Stadler
Rail bestellten Züge,
bedingt durch die
verschiedenen Normalien
der einzelnen Bahnen,
sich in einzelne
Fahrzeuggruppen
aufteilen, werden alle
Erste-Klasse-Komfort
bieten. Das alleine
führt zur (Wieder-)
Einführung der 1. Klasse
bei fünf Bahnlinien.
|
Die BDWM
offeriert ihren
Fahrgästen die
1. Klasse mit
den Worten:
„Genießen Sie
den kleinen
Luxus auf Ihrem
Arbeitsweg oder
Ihrem Ausflug.
Ledersitze, mehr
Platzkomfort,
Leselampen und
ein
aufgewertetes
Interieur laden
zum Verweilen
ein.
© Foto: Robert Schrempf |
Was bewegt die Bahnen
zur Einführung der 1.
Klasse?
Da der Preisaufschlag
für die Billetts der 1.
gegenüber der 2. Klasse
ca. 70 Prozent beträgt,
aber sich der Aufwand
nicht im selben Ausmaß
steigert, ergeben sich
überproportionale
Mehrerlöse. Zudem
erhalten die Bahnen, die
eine 1. Klasse führen,
aus den diversen
Abonnementstypen mit 1.
Klasse einen größeren
Ertragsanteil.
Insbesondere können
jedoch zusätzliche,
weniger preissensible
Kundengruppen als
Fahrgäste dazugewonnen
werden. Letztendlich
wird durch die 1. Klasse
der Kostendeckungsgrad
erhöht.
Die potenziellen Kunden
der 1. Klasse wollen
jedoch keine engen
Sitze, die lediglich dem
existenziellen
Transportbedürfnis
nachkommen. Es genügt
auch nicht, nur die
Polsterfarbe auf den
harten Sitzen und die
Anschriften zu wechseln;
es reicht auch nicht,
Pseudo-Armlehnen aus
Holz anstelle aus
Kunststoff anzubringen.
Der Fahrgast will in der
1. Klasse eine angenehme
Atmosphäre mit einer
gewissen körperlichen
Bewegungsfreiheit und
Ruhe, die auch ein
Dösen, Lesen oder
Arbeiten mit Laptop oder
Tablet zulässt. Er will
echten Komfort und
orientiert sich am
Standard eines guten
Mittelklassewagens. Nur
wenn die Bahnen dies
bieten, ist er
freiwillig bereit, auf
die Bahn umzusteigen.
Genau das kann nur die
1. Klasse bieten. Dabei
ist der Preis nicht das
wichtigste Kriterium. Es
gibt genügend
potenzielle Kunden, die
ein höherpreisliches
Angebot gerne in
Anspruch nehmen. Deshalb
wollen zunehmend
Regional-, Vorortsund
S-Bahnen dieses
Qualitätsniveau
anbieten.
In der Schweiz reisen
alle Bevölkerungsgruppen
und -schichten, bedingt
durch das differenzierte
Angebot, mit der Bahn.
Das führt in der
Bevölkerung und auf
allen politischen Ebenen
dazu, dass bei
Volksabstimmungen zu
Bahnvorlagen eine
prinzipiell hohe
Zustimmung für
Ausbauvorhaben vorhanden
ist.
Vielleicht nicht ganz
unbedeutend ist, dass
alle eidgenössischen
Parlamentarier jährlich
ein steuerfreies
General-Abonnement (GA)
1. Klasse im Wert von
5.800,– Franken (4.760,–
Euro) erhalten.
Verzichten sie auf das
Abo, können Sie maximal
den Gegenwert als
Pauschal- Entschädigung
geltend machen. Auf eine
Fahrbereitschaft oder
einen Limousinen-Service
können sie nicht
zugreifen. Die
Bundesräte (Exekutive)
erhalten ebenfalls ein
GA 1. Klasse. Ähnliche
Regelungen gelten für
Verbund-Abonnements in
den Kantonen. Hohe
Politiker in den Zügen
anzutreffen gehört in
der Schweiz zur
Normalität.
Zum Autor:
Jürg D. Lüthard |
|
Jürg D. Lüthard
1957 in Zürich
geboren und mehrheitlich
dort lebend, ist seit
2010 als freier
Bahn-Journalist für
verschiedene
Fachzeitschriften tätig.
Nach der Lehre als
Elektromechaniker in der
SBB Hauptwerkstätte
Zürich besuchte er das
Technikum, arbeitete als
Reiseleiter, war als
Mitinhaber elf Jahre
lang Geschäftsführer
einer
Elektronikgroßhandelsfirma
und seit 1998 Inhaber
einer Einzelhandels- und
Dienstleistungsgesellschaft.
Er ist in
Genossenschaften,
Stiftungen und Vereinen
des Eisenbahnwesens
aktiv. |
|
|
zurück zum Seitenanfang |